Ferne Ufer
Lächeln. »Aber keine Sorge, der loa hat zu dir gesprochen, also bist du vor mir sicher.« Anerkennend blickte er uns an.
»Ihr geht jetzt«, befahl er leise, aber entschieden.
»Noch nicht«, entgegnete Jamie. Er nahm den Arm von meiner Schulter und richtete sich auf. »Ich bin hier, weil ich Ian suche, und ohne ihn gehe ich nicht fort.«
Ismael zog die Brauen zusammen, so daß sich zwischen ihnen drei senkrechte Falten bildeten.
»Vergiß den Jungen«, sagte er. »Der ist fort.«
»Wo ist er?« fragte Jamie mit schneidender Stimme.
Ismael neigte den schmalen Kopf zur Seite und betrachtete Jamie nachdenklich.
»Die Maggot hat ihn mitgenommen«, antwortete Ismael. »Und wo sie ist, da gehst du nicht hin. Der Junge ist fort, Mann«, wiederholte er in einem Ton, der keine Erwiderung zuließ. »Und du gehst am besten auch, wenn du klug bist.« Er lauschte. Irgendwo in der Ferne erklang eine Trommel, eine rhythmische Nachricht, die leise durch die Dunkelheit hallte.
»Die anderen kommen bald«, stellte er fest. »Vor mir bist du sicher, Mann, vor den anderen nicht.«
»Wer sind die anderen?« fragte ich. Das Entsetzen über die Begegnung mit dem loa ebbte allmählich ab, und ich hatte die Sprache wiedergefunden, obwohl mir immer noch eine Gänsehaut über den Rücken kroch, wenn ich an das düstere Zuckerrohrfeld hinter mir dachte.
» Maroons , nehme ich an«, sagte Jamie. Fragend sah er Ismael an. »Oder gehörst du jetzt auch dazu?«
Der Priester nickte.
»Das stimmt«, erwiderte er. »Hast du Bouassa reden hören? Der loa hat uns den Segen gegeben. Wir gehen also.« Er wies auf die dunklen Hütten und die Hügel, die sich dahinter erhoben. »Die Trommel ruft sie aus den Bergen. Und die, die stark genug sind, gehen.«
Da er das Gespräch offensichtlich für beendet hielt, wandte er sich ab.
»Warte!« rief Jamie. »Sag uns, wohin sie gefahren sind - Mrs. Abernathy und der Junge!«
Ismael wandte uns wieder seine blutbefleckte Brust zu.
»Nach Abandawe«, sagte er.
»Und wo ist das?« fragte Jamie ungeduldig.
»Ich weiß, wo das ist«, schaltete ich mich ein. Erstaunt sah Ismael mich an. »Glaube ich jedenfalls. Auf Hispaniola, hat Stern mir erzählt. Geillis hat ihn danach ausgefragt, denn sie wollte wissen, wo sie den Ort finden kann.«
»Was denn? Eine Stadt? Ein Dorf? Und wo überhaupt?« Jamies Hand, die meinen Arm umklammert hielt, zitterte vor Aufregung. Offensichtlich konnte er es kaum erwarten aufzubrechen.
»Eine Höhle.« Trotz der lauen Luft und dem nahen Feuer war mir kalt. »Eine alte Höhle.«
»Abandawe ist ein Zauberort«, ergänzte Ismael leise, als fürchtete er sich, den Namen laut auszusprechen. Abschätzend sah er mich an. »Clotilda hat mir erzählt, daß die Maggot mit dir in das obere Zimmer gegangen ist. Vielleicht weißt du, was sie dort tut.«
»Ein wenig.« Mein Mund war trocken.
Als hätte er meine Gedanken erraten, trat Ismael plötzlich auf mich zu.
»Ich frage dich, Frau, blutest du noch?«
Jamie fuhr auf, aber beruhigend drückte ich seinen Arm.
»Ja«, antwortete ich. »Warum? Was hat das damit zu tun?«
Der oniseegun schien sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen. Unruhig wandte er sich zu den Hütten um. In der Dunkelheit hinter ihm regte es sich. Anscheinend hatten sich die Männer dort versammelt und bereiteten sich auf den Aufbruch vor. Sie flüsterten so leise, daß ihre Stimmen von den raschelnden Zuckerrohrhalmen verschluckt wurden.
»Eine Frau, die blutet, tötet den Zauber. Wenn du blutest, besitzt du weibliche Macht, und der Zauber wirkt bei dir nicht. Nur die alten Frauen zaubern und hexen. Sie rufen die loas und machen Kranke wieder gesund.« Er musterte mich abschätzend. Dann schüttelte er den Kopf.
»Du machst keinen Zauber wie die Maggot . Ihr Zauber bringt sie um, aber dich auch.« Er wies nach hinten auf die leere Bank. »Hast du gehört, was Bouassa sagt? Er sagt, die Maggot stirbt in drei Tagen. Sie hat den Jungen mitgenommen, also stirbt er auch. Und du auch, wenn du ihnen nachfährst.«
Die Handgelenke gekreuzt, als wären sie zusammengebunden, starrte Ismael Jamie an. »Das sage ich dir, amiki .« Er ließ die Arme sinken und riß die Hände auseinander, als würde er eine unsichtbare
Fessel sprengen. Ohne Vorankündigung drehte er sich dann um und tauchte in die Dunkelheit.
»Heiliger Michael, schütze uns«, stieß Jamie hervor. Er strich sich durchs Haar, so daß einzelne, im Licht der Flammen schimmernde Strähnen
Weitere Kostenlose Bücher