Ferne Ufer
schweißtreibende Schwerarbeit. In der ersten Woche, in der sich Jamie Frasers Muskeln allmählich an die plötzlichen Anforderungen ununterbrochener Bewegung gewöhnen mußten, fiel er jeden Abend auf seiner Pritsche in der Scheune in traumlosen Schlaf.
Er war derart erschöpft und innerlich aufgewühlt in Helwater angekommen, daß es ihm zunächst nur wie ein anderes Gefängnis vorkam, eins, das weit entfernt von den Highlands lag und wo er von fremden Menschen umgeben war. Als er sich eingelebt hatte, durch sein Wort gebunden wie durch Gitterstäbe, entspannten sich sein Körper und Geist mit jedem Tag mehr. Er gelangte wieder zu Kräften, seine Gefühle kamen in der friedvollen Gesellschaft der Pferde zur Ruhe, und er konnte allmählich wieder vernünftig denken.
Wenn er auch nicht wirklich frei war, so hatte er zumindest frische Luft und Licht, genug Raum, um die Glieder auszustrecken, den Blick auf die Berge und die wundervollen Pferde, die Dunsany züchtete. Die anderen Stallburschen und Diener begegneten ihm verständlicherweise mit Argwohn, aber seine Größe und sein furchterregender Gesichtsausdruck veranlaßten sie, ihn in Ruhe zu lassen. Er führte ein einsames Dasein - doch er hatte sich bereits seit langem damit abgefunden, daß dies nun einmal sein Los war.
Weiche Schneeflocken legten sich auf Helwater. Selbst Greys offizieller Besuch zu Weihnachten - ein spannungsgeladenes, unangenehmes Ereignis - ging vorbei, ohne daß Jamies zunehmende Zufriedenheit Schaden nahm.
Es gelang ihm, mit Jenny und Ian in den Highlands heimlich Verbindung aufzunehmen. Abgesehen von den seltenen Briefen, die ihn über Mittelsmänner erreichten und die er las und vernichtete, besaß er als einzige Erinnerung an die Heimat den Rosenkranz aus Buchenholz, den er unter seinem Hemd um den Hals trug.
Ein dutzendmal am Tag berührte er das kleine Kreuz über seinem Herzen und bedachte seine Nächsten mit einem kurzen Gebet.
Seine Schwester Jenny, Ian und die Kinder: den nach ihm benannten kleinen Jamie, Maggie, Katherine Mary, die Zwillinge Michael und Janet, und Ian, das Baby. Die Pächter von Lallybroch und die Männer von Ardsmuir. Doch sein erstes Gebet am Morgen und sein letztes am Abend - neben vielen anderen dazwischen - galt Claire. Lieber Gott, möge sie wohlauf sein. Sie und das Kind.
Als der Schnee geschmolzen war und der Frühling erwachte, gab es in Jamies täglichem Leben nur eins, was ihn störte: Lady Geneva Dunsany.
Lady Geneva war hübsch, verzogen und selbstherrlich und daran gewöhnt zu bekommen, was sie wollte - ohne sich darum zu scheren, wer ihr im Weg stand. Sie war eine gute Reiterin - das mußte Jamie zugeben -, aber so scharfzüngig und launisch, daß die Stallburschen darum losten, wen das Unglück traf, sie auf ihren täglichen Ausritten begleiten zu müssen.
Seit kurzem jedoch wählte Lady Geneva ihren Begleiter stets selbst - Alex MacKenzie.
»Unsinn«, hatte sie geantwortet, als er zunächst an ihre Vorsicht appellierte und dann plötzliches Unwohlsein vorschützte, um nicht mit ihr in die Abgeschiedenheit der düsteren Bergausläufer oberhalb von Helwater reiten zu müssen. Wegen des unsicheren Geländes und der gefährlichen Nebel durfte sie dort nicht hinreiten. »Seien Sie nicht albern. Niemand sieht uns!« Und bevor er sie zurückhalten konnte, hatte sie ihrer Stute unbarmherzig die Sporen gegeben, galoppierte los und lachte ihm dabei über die Schulter zu.
Sie trug ihre Vernarrtheit in ihn so offensichtlich zur Schau, daß die anderen Stallburschen verstohlen grinsten und leise Bemerkungen fallenließen, wenn sie den Stall betrat. In ihrer Gesellschaft überkam Fraser das starke Verlangen, ihr einen Tritt zu versetzen, wahrte aber statt dessen striktes Schweigen und begegnete all ihren Annäherungsversuchen mit einem mürrischen Brummen.
Sicherlich würde sie sein zugeknöpftes Benehmen früher oder später satt haben und ihre lästige Aufmerksamkeit einem anderen Stallburschen zuwenden. Oder bald heiraten und fortziehen.
Es war ein ungewöhnlich sonniger Tag im Mai und so warm, daß Jamie sich seines Hemdes entledigte. Auf dem hochgelegenen
Acker fühlte er sich sicher, und es war unwahrscheinlich, daß jemand ihm und Bess und Blossom, den beiden Zugpferden, eine Aufwartung machte.
Die alten Pferde waren in der Aufgabe, die Walze über das große Feld zu ziehen, geübt. Nur gelegentlich mußte Jamie ein wenig an den Zügeln ziehen, damit ihre Nüstern wieder in Marschrichtung
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