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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Ehefrauen aus ihren Träumen wecken, sie erzittern und im Halbdämmer mit kaum verhohlener Mordlust das Profil des Geliebten betrachten lassen. Dann denken sie an das, was sie verlieren würden, an das, was sie schon zu verlieren riskiert haben, und schmiegen sich an ihn. Von jetzt an würden sie ihn in ihre Obhut nehmen - o ja, das würden sie - und ihn von allen Versuchungen fernhalten. Dann seufzen sie und schlafen voller Argwohn ein. Mir dagegen hatte man es nach allen Regeln der Kunst gegeben. Aber wer konnte das gewesen sein? Titino Darsena? I wo, der war zu dumm. Wer dann? Die Antwort erhielt ich postwendend zu Hause, wo Nonnilde mich ungewohnt liebevoll empfing. Sie ließ ein Mahl wie für einen verlorenen Sohn bereiten und fragte mich beim Essen: »Na, Carlino? Hat es dir in Deutschland gefallen?«
    Aha!
    »In Dänemark, Großmutter, ich bin in Dänemark gewesen!«, schrie ich und sprang auf. Ich hätte sie an den Haaren packen, sie auf die Piazza zerren und alles beichten lassen wollen. Aber welchen Sinn hätte das gehabt? Inco war auf Hochzeitsreise, und da ich sie kannte, wusste ich, dass sie um nichts auf der Welt die von der Heiligen Römischen Kirche besiegelte Fessel zerreißen würde. Also ließ ich mich kraftlos auf den Stuhl zurückfallen.
    Das Gesicht der Großmutter blieb undurchdringlich. »Dänemark oder Deutschland, das ist doch egal. Hauptsache, du hast dich amüsiert«, meinte sie. »Jetzt müssen wir aber über ernsthafte Dinge reden. Das Kapital für die neuen Maschinen habe ich aufgetan. Der Apotheker wird investieren … Das heißt, es ist so gut wie beschlossen. Du musst nur Alba Chiara heiraten.«
    Jetzt ergab alles einen Sinn. Ich hatte kaum mehr die Kraft zu seufzen: »Und wenn ich Nein sage?«
    »Versuch’s nur«, grinste die Mutter meines Vaters.
    Ich verbrachte eine schlaflose Nacht. Den Gedanken an Inco unter Titinos fettem Körper ertrug ich einfach nicht - vielleicht
vögelte er sie just in diesem Augenblick. Die Vorstellung von meiner Zukunft ertrug ich auch nicht: die Tage mit Nonnilde und die Nächte mit Alba Chiara. Blieb einzig die Möglichkeit, nach Amerika abzuhauen. Die Angelegenheit konnte nur ein weiterer Wink des Schicksals sein - meines ruhmreichen Schicksals -, und schon war ich aufgestanden, um erneut meine Sachen zu packen, als mir plötzlich Incos Worte an jenem Abend auf der Wiese in den Ohren klangen: Für Onkel Richard existierte ich wahrscheinlich überhaupt nicht, und wenn er sich bisher nicht um mich gekümmert hatte, gab es wirklich keinen Grund, weshalb er es jetzt tun sollte. Ja, sie hatte recht - Inco, meine kluge, meine liebe Inco -, und dieses Eingeständnis stürzte mich in eine noch tiefere Mutlosigkeit, die mich veranlasste, mit einem Achselzucken auch jede andere Möglichkeit zu verwerfen - nach Christiania zurückzukehren etwa oder wie so viele meiner Altersgenossen auszuwandern oder eventuell die Eltern des Schweizers um seinen Erbplatz bei Toblerone anzubetteln - dann doch lieber gleich Selbstmord begehen! - oder eine meiner über die ganze Welt verstreuten Cousinen um Asyl zu bitten - aber welche, wo wir doch seit ihrer Verheiratung keinerlei Kontakt mehr haben? Irgendwann versank ich in einen kurzen, unruhigen Schlaf, aus dem mich gleich darauf das Kreischen der Schwalben riss, die im Morgenrot am Himmel schwärmten. Beklommenen Herzens kletterte ich zu Pits Plantage hinauf, um mich mit Hanf zu betäuben, aber da ich nur noch ihre Zerstörung feststellen konnte - jemand hatte die Pflanzen bis zu den Wurzeln niedergemäht -, ging ich zurück zur Piazza, wo ich mich auf einer Bank ausstreckte, unglücklich wie ein Lamm im Schlachthaus. Dieses Mal war es eine Oktoberböe, die mich weckte. Ich schlug die Augen auf, und just in diesem Moment erblickte ich das Auto, das blau und schnittig in der zitternden Luft der Allee glänzte. Ich stützte mich auf die Ellenbogen und betrachtete das Paar, das drinnen saß.
    Sie trug eine große Sonnenbrille mit ovalen Gläsern, weiße Handschuhe und einen Foulard um den Kopf, so wie die Diven vor
zwanzig Jahren, aber trotzdem - oder auch deswegen - war sie eine Augenweide. Sie zündete sich eine Zigarette an und blieb sitzen, den Arm auf den Rahmen des aufklappbaren Verdecks gelegt, den Kopf gegen den Sitz gelehnt. Er aber stieg aus. Er trug einen weiten Pullover und Ledersandalen zu den ausgebeulten Schlabberhosen und hatte, als er den Strohhut aus der Stirn schob und sich vergnügt umblickte, etwas

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