Ferne Verwandte
Wasser nicht gerade das sauberste ist; also springen wir ebenfalls hinein, und als wir das Wasser wieder verlassen, achten wir am Treppchen der kleinen Mole darauf, hinter den Mädchen zu sein, damit wir in aller Ruhe und aus großer Nähe das Geheimnis ihres tropfenden Geschlechts erkunden können - bald werden wir begreifen, dass es bestimmter Vorwände gar nicht bedarf: Die Mädchen, aber auch die Jungs, sind sehr entgegenkommend. Nach dem Bad beladen sie einen Tisch mit vegetarischen Spezialitäten, und nach beendetem Mahl gehen sie dazu über, sich mit der größten Natürlichkeit zu paaren, will sagen: sie ficken, und wir, die wir unversehens in eine Orgie in großem Stil geraten sind, ficken mit. In jeder Hippie-Kommune, die etwas auf sich hält, ist das so üblich, und in einer Hippie-Kommune sind wir wahrlich gelandet. Die Freundlichkeit, die Oluf, der Chef und Gründer der Gruppe, Rino entgegenbringt, ist gewiss nicht uneigennützig: Die fünfzig Kilo von unserem Himalaja-Kraut stellen für die Sippschaft nicht nur hochgeschätzte Reserven dar, sie sind im Moment auch eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen. Rino zahlt nämlich einen Teil der Einkünfte, die durch den Grasverkauf erzielt werden, in die Kasse der Kommune
ein und erhält als Gegenleistung für sich und uns die angenehmste Gastfreundschaft.
Unvergessliche Tage verbrachten wir so: die Vormittage in Tuchfühlung mit der Natur, auch wenn die ein wenig beschädigt war - wir befanden uns immerhin mitten im Zentrum einer der großen Hauptstädte Europas -, und die Abende auf unseren Streifzügen durch die Lokale. Die untere Zone der Hippie-Siedlung war voll davon: Stehcafés und kleine Pubs, drinnen oder draußen, von Kerzen beleuchtet, schmuddelig und trist, aber stets gefüllt mit Musik und Leuten jeglicher Art, die nicht alle Flower - Power -Jünger waren, wie wir anfangs angenommen hatten.
Eines Nachts sitze ich mit Gwinevere, der Cellistin, die unterdessen meine Favoritin geworden war - der freien Liebe zum Trotz bildeten sich auch hier spezielle Sympathien heraus -, zufällig neben einem Riesen mit Schaffellweste über dem nackten Oberkörper und einer zu Zöpfchen geflochtenen Mähne, einem authentischen Wikingerkrieger also. Ich klopfe den Rhythmus der Musik auf meiner Bierdose mit, und das muss dem Hünen dermaßen auf den Wecker gegangen sein, dass er sie mir aus der Hand reißt und zerknüllt, als wäre sie ein Stück Papier. Natürlich hebe ich zum Zeichen der Kapitulation die Arme. Er schaut mich an und bricht in Gelächter aus, aber auf der anderen Seite des Tischs sitzt ein Typ, der nicht lacht, sondern anfängt, ihm »meine« Argumente entgegenzubrüllen, das glaube ich zumindest, und irgendwann schleudert er einen Hocker auf ihn, aber zu dem Zeitpunkt sind wir, Gwinevere und ich, schon weit weg.
Praktisch jeden Abend brachen in Unter-Christiania Streitereien aus, dennoch mochten wir uns nicht fernhalten. An den Straßenkneipen vorbeizugehen, wo sich an langen Tischen die unterschiedlichsten Vertreter der Gattung Mensch zusammendrängten, die ineinanderfließende Musik zu hören, den Geruch der würzigen Speisen und den penetranten Gestank von Haschisch und allen erdenklichen anderen rauchbaren Drogen zu riechen, den entsprechenden Hustenattacken zu lauschen - das war schon
eine unverzichtbare Erfahrung. Es war, als reiste man durch eine seltsame Nacht der Zeiten, in der sich die Stämme der Hells Angels, Junkies, Blumenkinder, Huren und ihrer Söhne, Maschinenstürmer, Verzweifelten, Alkoholiker, Punks - ja richtig, das war Giudittas neuer Stil gewesen! - vor den in der Finsternis leuchtenden Freudenfeuern ein Stelldichein gaben. Inmitten der Ordalien, von denen die Combonianer-Missionare meiner Kindheit erzählt hatten, schien man sich plötzlich zu befinden und den unwiderstehlichen Lockruf des Bösen zu vernehmen. Außerdem war es so angenehm, aus diesem Höllenkreis unter dem bestirnten Himmelszelt in die Stille am Fluss zurückzukehren. Am nächsten Morgen würden wir zu den Klängen eines Vivaldi-Quartetts geweckt werden und auf der Terrasse frühstücken, dann würden das Bad, Massagen, ein bisschen Yoga und ein paar Bumsereien folgen. Bis an einem dieser Vormittage der Schweizer verschwunden war.
Anfänglich hatten wir das Gras abwechselnd verkauft, aber nach einiger Zeit hatte er sich der Sache allein angenommen. Das ganze Geld zu scheffeln bereitete ihm eine große, eine unermessliche Freude, nur wollte es ihm nicht in
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