Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
Vom Netzwerk:
erhobener Faust rief er unverständliche Slogans, wobei seine Stimme noch von der des Reporters überlagert wurde. Mir rutschte das Herz in die Hose: Sollte ich gehofft haben, dass Tarcisio und seine Genossen meine Probleme lösen würden, dann war ich jetzt wirklich aufgeschmissen. Wie es dem Menschen in den Augenblicken der Niedergeschlagenheit oft widerfährt, suchte ich in Träumen von der Vergangenheit Zuflucht; da ich aber nicht einmal
einen Zipfel meines lebenslangen Traums erhaschen konnte, ohne dass sich mir der Magen umdrehte - wegen einer Fickerei hatte ich alles verspielt -, entschied ich mich für einen anderen Traum.
    Im Vorübergehen hatte ich Incoronata oft im Halbdämmer des Kaufhauses Darsena erspäht, allerdings eher Abschnitte ihres Körpers als das Ganze: die Rundung einer Hüfte, während sie sich über das Obst beugte, ihren üppigen Busen, der bei dieser Bewegung wogte, das Blitzen in ihren Augen, wenn sie auf den Betrag starrten, den die Kasse anzeigte. Diese Anblicke begleiteten mich wieder durch die Nacht, und es konnte leicht passieren, dass ich mir ein paarmal nacheinander einen runterholte - trotz allem war ich immer noch ein hitziges Wesen und konnte vor Wollust derart explodieren, dass meine Knochen knirschten wie die Olivensteine unter den Rädern der Ölpresse. Ich weiß nicht, ob es Liebe war, aber wenn ich hinterher den Kopf im Kissen vergrub, drückte ich mich gegen das Bett, streckte die Beine in dem engen Keil zwischen Bettdecke und Matratze aus, dachte nur noch an Inco, und schon durchströmte mich ein solches Gefühl des Wohlbefindens, dass ich alles vergaß - und zu vergessen hatte ich allerhand.
    Am Morgen stand ich mit dem Vorsatz auf, ins Geschäft zu gehen, aber immer war Titino da, ihr Mann. Bis ich mich eines Abends aus der Firma Superfini schlich und zu ihrem Haus lief, um dort Stellung zu beziehen. Eine Viertelstunde lag ich auf der Lauer, bis Inco endlich am Ende der Gasse auftauchte.
    Seit meiner Abreise nach Christiania hatte ich praktisch nur Teile von ihr gesehen, und jetzt, da es nach so vielen durchträumten Nächten endlich so weit war und sie mit dem schwerfälligen Schritt einer Riesin dahertapste, vernahm ich, wie sich die Strümpfe am Speck ihrer Schenkel rieben. In schönster meridionaler Tradition hatten ein, zwei Ehejahre genügt, um aus der stattlichen, aber bildschönen Inco einen Trampel zu machen. Und wegen dieses Fettwanstes hätte ich sogar auf Amerika verzichtet? Und mit dem Gedanken an diesen Koloss hatte ich Linderung für meine Qualen gesucht? Dann gibt es wirklich nichts mehr, was mir in meinem Leben
noch bleibt. Noch leise verunsichert ziehe ich sie in eine Mauernische und gebe ihr - und mir - eine letzte Chance, indem ich frage: »Bist du etwa schwanger?«
    »Ach was«, antwortet sie, ohne bei meinem Überfall aus dem Hinterhalt auch nur zusammenzuzucken.
    Ich fixiere ihre Glupschaugen - ja, sie sind so rund wie die ganze Frau - und muss lachen. Mit Titino stimmt was nicht! Vom Tonfall ihrer Antwort mal abgesehen: Wie sonst wäre zu erklären, dass er sie - immer gemäß der meridionalen Tradition - nach zwei Jahren noch nicht geschwängert hat? So presse ich sie an mich und versuche, sie zu küssen. Natürlich ekle ich mich vor ihr - zu allem Überfluss hat sie einen eiterigen Schneidezahn -, aber meine Lust, sie zu demütigen, ist stärker. Ich möchte sie dafür bestrafen, dass sie in diesen Zustand herabgesunken ist und meine letzte Zuflucht vor dem Bösen in der Welt zerstört hat.
    Sie indessen stöhnt: »Lass mich in Ruhe, Carlì, wenn man uns sieht …«
    Ich drohe: »Hast du jetzt kapiert, dass ich nicht verheiratet bin? Dass uns jemand übers Ohr gehauen hat … Ich weiß auch, wer das war, und du weißt es ebenfalls, oder?«
    »Ja, iss schon klar, Carlì, aber jetzt isses passiert. Ich hab in der Kirche geheiratet, vor unserem Herrgott, und das iss was, was mehr zählt als Gefühle … Ich bitte dich, lass mich in Ruhe! Zerstöre nicht meine schönsten Erinnerungen an die Liebe!«
    Mein Gott, wer redete denn da? Die Heldin einer jener Fotoromane, welche die Mädchen vom Land so eifrig tauschen? Nur befand ich mich nicht in einem Fotoroman. Es war die reine Wirklichkeit, und die beiden Camparis, die ich getrunken hatte, um mich auf dieses Rendezvous vorzubereiten, ließen es mich in seiner ganzen unglaublichen Realität genießen. Also versetzte ich mich in meine Rolle und deklamierte, während ich ihr den Hals abküsste, mit dem

Weitere Kostenlose Bücher