Ferne Verwandte
je erzählen können? Aber der Roman würde trotzdem ein großer Erfolg werden, das spürte ich, und dann würde ich diesen Job hier aufgeben können. Andererseits war ich derart fix und fertig, dass mir nach einer Weile vor dem leeren Papier, den Bleistift noch in der Hand, die Augen zufielen. Dann warf ich mich aufs Bett, steckte die Füße in den Winkel zwischen Bettkante und Decke, und mich erfüllte, genau wie in meinen verzweifelten Jahren im Dorf, ein Gefühl der Genugtuung. In diesen Momenten dachte ich an Cybill. Ich verzehrte mich vor Liebe nach ihr, einer platonischen Liebe, weil ich mich - und das war mir nie passiert - sexuell schlapp fühlte. Irgendwann schlief ich unvermittelt ein, aber nicht einmal dann war ich in Sicherheit. Onkel Richard verbrachte sogar die Nacht im Büro. Er hatte sich für die Augenblicke der Müdigkeit mit einer Art Feldbett ausgerüstet - der arme Randolph, den er bei ihm zu bleiben zwang, hatte nicht einmal das -, und oft weckte er mich zu den unmöglichsten Zeiten, um mich über eine plötzliche Erleuchtung in Kenntnis zu setzen oder über ein Problem, das der Lösung harrte, zu sprechen. Ja, Charles hatte wirklich recht gehabt: Im Vergleich zu ihm war Nonnilde geradezu entspannend - und das wollte etwas heißen.
Gewiss, an positiven Seiten fehlte es nicht. Meine Brieftasche war prall gefüllt mit Kreditkarten, und sobald ich konnte, machte
ich eine Runde durch die Geschäfte. In der Stunde Pause - wenn es mir gelang, sie zu nehmen - schaute ich zusammen mit den jungen Angestellten, die sich in die Straßen ergossen, verzückt in die Schaufenster an der Fifth. Nur dass ich dann auch in die Läden hineinging. Im Laufe einiger Monate hatte ich mich mit all den Dingen ausgestattet, die ich mir immer gewünscht hatte, außerdem mit jenen, nach denen ich mich einfach deshalb nicht gesehnt hatte, weil mir von ihrer Existenz bislang nichts bekannt gewesen war. Aber nicht einmal in dieser Hinsicht ging es nach meinem Kopf.
Ich hatte immer schon ein Faible für amerikanische Autos gehabt - diese Leidenschaft hatte Pit auf mich übertragen -, und in einem der seltenen Augenblicke, in denen es mir gelungen war, mich von Onkel Richard loszueisen, blätterte ich einmal in einem Prospekt der Firma Cadillac, als er plötzlich, wie es so seine Art war, ohne anzuklopfen in mein Büro stürmte, um mir Anweisungen zu erteilen. Er starrte auf den Katalog, und bevor er wieder ging, riss er ihn mir aus der Hand und knurrte: »Finger weg! … Das sind Sachen für Gangster und Hinterwäldler.«
Am nächsten Morgen erwartete mich vor dem Haus ein prächtiger Mercedes in der Farbe des Morgengrauens. Der Pförtner öffnete mir die Tür und überreichte mir die Schlüssel. Hätte ich da Nein sagen können? Und während ich ihn lenkte, so geschmeidig, solide und elegant, und mich in den Schaufenstern spiegelte, spürte ich, wie ich vor Dankbarkeit überströmte. Dieser Mann war zwar unerträglich, aber er mochte mich. Gleich nachdem ich sein Büro betreten hatte, erklärte ich: »Danke, Onkel Richard, aber das habe ich nicht verdient. Du bist wirklich zu großzügig.« Ich war so gerührt, dass ich es auf Italienisch sagte. Er starrte mich an, als hätte er ein Gespenst vor sich, dann bedeutete er mir, den Mund zu halten, stand auf und ging zur Bar. Den Rücken mir zugewandt, trank er einen Schluck, und als er sich wieder umdrehte, hatte er Tränen in den Augen.
An jenem Tag passierte noch etwas, was mich sehr verblüffte. Wir waren im Sitzungssaal, und am Ende der verschiedenen Wortmeldungen
warteten wir vergebens auf die übliche Schreierei, mit der er uns über seine Beschlüsse informierte. Er stand vielmehr auf und ging wortlos aus dem Raum. Ich wollte mir einen Nachmittag Entspannung gönnen und schaute auf die Uhr an der Wand, unsicher, ob ich bleiben oder nach Hause gehen sollte, einmal wenigstens pünktlich wie jeder Angestellte, als ich ihn in der Tür auftauchen sah. »Komm mit!«, befahl er mir schroff.
Während wir Manhattan verließen, brummte er in einem fort eine kleine Melodie vor sich hin, bis der Rolls vor einem niedrigen Wohnhaus in einer kleinen abgelegenen Straße in Queens anhielt. Kurz bevor er ausstieg, richtete er endlich das Wort an mich. »Manchmal reichen alle Qualitäten des besten Geschäftsmanns nicht aus«, sagte er. »Nimm zum Beispiel den Fall von heute: Wer kann schon sagen, ob der traditionelle, teure Ahornsirup aus Vermont oder der gleich schmackhafte, aber
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