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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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billigere aus Kanada eher dem Geschmack des Konsumenten entspricht … Man muss sich dem Schicksal anvertrauen, aber dazu braucht man einen Führer, und den haben wir.«
    Wie im Wartezimmer eines Zahnarztes standen etwa zehn kleine mit karmesinrotem Samt bezogene Sessel in einem Kreis herum. Auch das Publikum erinnerte an das Wartezimmer eines Zahnarztes - eines sehr teuren Zahnarztes -, aber die Tapete mit den dunkelbraunen Arabesken auf Goldgrund, der ochsenblutfarbene Teppichboden, der Kronleuchter und die auf mittelalterlich getrimmten Wandleuchter aus nachgedunkeltem Messing hätten durchaus in ein Bordell gepasst. Der große, wächserne Typ in Nadelstreifen mit Schnurrbärtchen und Brillantine im Haar, der in der Ecke hinter einem Schreibtisch im venezianischen Stil positioniert war, begrüßte Onkel Richard ehrerbietig und streckte ihm dann ein Zettelchen mit einer Nummer entgegen. Und statt einen Wutanfall zu bekommen, wie er es bei jeder anderen Gelegenheit getan hätte, wartete der selbstherrliche Tycoon brav, bis er wie ein gewöhnlicher Sterblicher an die Reihe kam.
    Ungefähr eine halbe Stunde verbrachten wir in absoluter Stille und beobachteten die Kunden, die durch eine Gittertür eintraten
und nach wenigen Minuten mit heiterer Miene wieder herauskamen. Dann wisperte der wächserne Typ unsere Nummer. Durch einen niedrigen, in den Felsen gehauenen Tunnel - in Wirklichkeit war es nichts anderes als gemasertes Pappmaché - erreichten wir den Eingang zu einer Höhle. Von der Decke hingen leuchtende Stalaktiten, und genau in der Mitte des irisierenden Lichts der beiden größten saß hinter einer Kniebank, umhüllt von den bläulichen Spiralen seiner Zigarre, ein in eine Kutte eingenähter Dickhäuter mit einer pechschwarzen Wayfarer und einem langen grauen Bart. Um den Hals hatte er ein mit bunten Steinen besetztes Kruzifix, und obwohl die Aufschrift in gotischen Lettern, die hinter seinem Rücken hing, ihn im vertrauten heimatlichen Dialekt als Lo Romita de la Muntagna , also den Eremiten vom Berge, auswies, wandte er sich, als mein Onkel sich vor ihm hinkniete, auf Amerikanisch an ihn:
    » Hi , Richard.«
    » Hi , Romita.«
    »Hast du gesündigt?«
    »Ich habe gesündigt.«
    »Bereue.« Er schwieg einige Sekunden und sagte dann: »Jetzt kannst du deine Frage stellen.«
    Mein Onkel war sehr ernst, während er ihm in einer seltsamen, metaphernreichen Sprache den Fall darlegte, der ihm am Herzen lag. »Es gibt zwei Wege«, sagte er. »Der eine ist sicher, aber lang, der andere kurz, aber unsicher.«
    Da nahm der Romita einen tiefen Zug aus seiner Zigarre und brannte mit der glühenden Spitze eine Reihe von Löchern in ein weißes Blatt, das er daraufhin mit äußerster Nachlässigkeit auf eine mit Nummern versehene Tabelle legte. Er las vor: »Vier neununddreißig achtundzwanzig.« Nachdem er einen Moment nachgedacht hatte, verkündete er sibyllinisch: »Nimm den langen Weg, Bruder, und in der Mitte nimm die Abkürzung über den kurzen, ohne die, die dir folgen, vorzuwarnen.«
    Ich musste mir das Lachen verkneifen und tat gut daran: Als wir am Ausgang mit einer meiner Kreditkarten dem wächsernen Typ
nicht weniger als vierhundert Dollar zahlten und dafür eine Visitenkarte erhielten, lag eine große Genugtuung in Onkel Richards Blick. Sobald wir im Auto saßen, sagte er: »Warum ist mir das nicht schon vorher eingefallen? Ich kaufe beide Firmen, dann verkaufe ich die erste an den Meistbietenden und mache mit der zweiten weiter: Keiner der Magier von New York kann es mit dem Romita aufnehmen.«
    Eines Tages sollte ich meine Meinung über den Romita ändern, aber im Augenblick kam mir das Ganze idiotisch vor und noch unglaublicher war, dass ausgerechnet Richard Di Lontrone - nach dem ganzen Geschwafel über die Notwendigkeit, Amerikaner zu werden - zum Magier ging, was nicht einmal meine armen Tanten je getan hatten. Während ich noch in mich hineinlachte, las Onkel Richard dem Chauffeur die Adresse des Caravel vor. Sie stand auf der Visitenkarte, die uns der wächserne Assistent überreicht hatte, und wir rollten sanft über die Löcher im Straßenbelag hinweg.
    Auf den ersten Blick bot das Restaurant, was der Name versprach. Der Raum war wie die glänzende Brücke eines Schiffes - offensichtlich einer Karavelle - konzipiert. Zwischen den Glasscheiben der großen Kabine stand, die Haare im Wind und den Blick vage gen Horizont gerichtet, Christoph Kolumbus in einer zitternden Aura aus smaragdfarbenem Licht.

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