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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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hatte ich ja alle durchforstet. Dann versuchte ich es zu Hause bei ihren Eltern. Die streng geheime Nummer hatte ich nicht ganz problemlos von Lucille bekommen und hatte mich sogar von ihr durchstellen lassen, aber der Butler des Hauses Collins reagierte, als kennte er Cybill überhaupt nicht - was in Anbetracht ihres Lebensstils sogar möglich war.

    Sie war also verschwunden. Ich war bleich, zerstreut und deprimiert. Onkel Richard musterte mich besorgt. Er wollte für mich einen Termin bei seinem Leibarzt vereinbaren, aber bestimmte Leiden lassen sich nicht heilen. Ich verbrachte die Tage damit, über den verlorenen Schatz nachzugrübeln, und gelangte fast zu der Überzeugung, dass die Begegnung mit ihr nur ein Traum gewesen sei, eine Halluzination. Dennoch wartete ich weiter, ich weiß nicht, wie viele Nächte, und während ich wartete, fing ich mit der Niederschrift meines Romans an. Endlich ging mir die Sache von der Hand. Ich fühlte mich wie der junge Melancholiker von einst, und genau wie damals hatte mich die Inspiration - wie sollte ich es sonst nennen? - mit ihrem sanften Flügel gestreift.
    Stundenlang verharrte ich in einem Zustand entrückter Glückseligkeit, der sich in nichts von dem unterschied, den Cybill erreichte, wenn sie ihren Bragon in den Armen hielt - ich behalf mir indessen mit Whiskey -, und wenn ich mir, betrunken und erschöpft, ein wenig Schlaf gönnte, verschaffte es mir eine weitere Genugtuung, vorher noch einmal den Manuskriptstapel anzuschauen, der von Nacht zu Nacht anwuchs. Probleme ergaben sich höchstens, wenn ich das Ganze noch einmal las. Die Szene etwa, in der Cybill aus dem See steigt, erinnerte ein bisschen zu sehr an eine Erzählung von Fitzgerald, aber auf sie konnte ich unter keinen Umständen verzichten. Es war schließlich nicht meine Schuld, wenn die Wirklichkeit manchmal die Phantasie übertraf. Dieser Gedanke beschäftigte mich noch, als es plötzlich läutete. Ich wusste nicht einmal, wie spät in der Nacht es war; ich wusste nur, dass Cybill zurückgekehrt war.
    Es war aber Charles, und zwar in Begleitung einer seiner mörderischen Cristal-’68-Flaschen. Er wurde Vater und hatte nichts Besseres zu tun, als die Neuigkeit bei mir zu Hause zu feiern. Es gelang mir nicht, einen Anflug von Unmut zu verhehlen, dem er jedoch keinerlei Gewicht beizumessen schien; vielmehr fragte er, nachdem er mich über das freudige Ereignis in Kenntnis gesetzt hatte, ganz aufgekratzt: »Und wie geht es dir, Vetterchen? Bist du endlich glücklich?«

    »Na ja«, antwortete ich.
    »Sag bloß nicht, dass selbst dir dieser verdammte American Dream allmählich zum Hals raushängt!«
    Dieses »selbst dir« war eine bittere Pille. Schließlich war ich ihm zu Dankbarkeit verpflichtet, auch wenn ich letzten Endes meine Existenz mit jemandem wie Onkel Richard teilen musste, der hundertmal erdrückender war als Nonnilde. Doch sobald ich bemerkte, dass er sich an seiner verdammten Flasche zu schaffen machte, fuhr ich aus der Haut: »Nein, kommt nicht infrage!«, rief ich entschlossen.
    Charles sah mich an. »Wie brav mein Vetterchen ist«, sagte er. »Ein Jahr, und schon erkenne ich dich nicht wieder.« Aber er sagte es mit einem so traurigen Gesichtsausdruck, dass mich Rührung überkam. Einen Augenblick war er unschlüssig, was er tun sollte, dann ging er zum Schreibtisch, stellte den Cristal ab und griff sich ein Blatt von meinem Roman.
    Das hätte ich keinem anderen durchgehen lassen, aber Charles hatte ich schon zur Genüge gepiesackt. Dennoch saß ich wie auf Kohlen. In diesem Packen befand sich nämlich ein Blatt - mehr als nur eines -, auf dem er hätte lesen können, dass ich mit seiner Frau geschlafen hatte. Sicher, ich hatte alles getan, um es zu verschleiern, aber was kann man in bestimmten Fällen schon groß verschleiern? Was bei Erscheinen des Buches passieren würde, war ein Problem, das sich im Moment nicht stellte. Was ich jetzt am meisten fürchtete, war, dass ich im Falle eines Falles eine weitere Spottkanonade nicht ertragen könnte. Aber er hob den Blick in meine Richtung - einen bewundernden Blick - und sagte: »Soweit ich sehen kann, steckt da Talent drin.«
    Das war Balsam für meine Ohren - immerhin sprach ein Professor der Columbia! Doch selbst wenn es irgendein Idiot gewesen wäre … Gibt es Süßeres für jemanden, der im Begriff ist, in der Welt der Literatur zu debütieren, und gleichermaßen unsicher, hoffnungsvoll und selbstherrlich seine eigenen Texte mit denen

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