Ferne Verwandte
dem Haus gehen, nahm ich mir fest vor - leider vergaß ich es wieder, und wie ich es vergaß! -, jetzt aber musste ich mir Charles selber aufladen, der, nebenbei bemerkt, ganz schön schwer war, und läutete bei der Nummer 656. Der Aufzug setzte uns direkt im bernsteinfarbenen Licht der Eingangstür ab. Jennifer empfing mich trotz ihres Zustands - sie erwartete ein Kind, verdammt noch mal - in einer ihrer atemberaubenden Toiletten, einem nerzfarbenen Morgenrock, der wie von ungefähr über ihrem dank der Schwangerschaft noch pralleren Busen aufsprang, und auch mit ihrem üblichen Lächeln, das von ihren blauen Augen auf ganz eigentümliche Weise sachte zu ihren blendend weißen Zähnen gelangte und sich von dort aus über ihr ganzes sonnengebräuntes Gesicht ausbreitete. Es hatte etwas sehr Sinnliches, so sinnlich, dass ich nur so dahinschmolz, und während ich sie betrachtete, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Cybill nur beim Sex einen ähnlichen Gesichtsausdruck hinbekam. Jennifer nahm mir ihren Mann ab und ließ ihn auf den blauen Rand eines chinesischen Teppichs sinken, dann legte sie sich eine Hand auf die Hüfte und fragte mich mit samtener Stimme: »Na, und was sagst du jetzt, Vetterchen? Gefalle ich dir auch als Schwangere?« Ich hätte mich auf der Stelle auf sie gestürzt, hatte aber Onkel Richards eindringliche Warnung, mich niemals gegen Charles zu stellen, noch allzu gut im Ohr. Deshalb riss ich mich zusammen und drehte mich auf dem Absatz um, auch wenn mir noch, als ich ins Taxi stieg, ihr Duft um die Nase wehte.
Dann verging vielleicht ein Monat. Der Roman wuchs im gleichen Maße wie meine Verzweiflung. Wenn Cybill trotz der erlittenen Demütigungen zu Sheffield zurückgekehrt war, welche Hoffnung
blieb mir da noch? Eines Nachts jedoch klingelte wieder das Telefon, und obwohl ich gerade am Einschlafen war, ließ ich es kein zweites Mal läuten. Es kam mir so vor, als hörte ich am anderen Ende der Leitung die Stimme einer zugedröhnten, betrunkenen Verrückten. Es war Cybill, und sie war verrückt und betrunken und zugedröhnt, sagte aber, dass sie mich liebe und auf der Stelle bei sich haben wolle.
Ich stellte mich also an das Ende der langen Schlange, und als ich an die Reihe kam, rümpfte der Rausschmeißer, wie ich die ganze Zeit befürchtet hatte, die Nase. Ich sagte ihm meinen Namen und vor allem, von wem ich erwartet wurde. Sofort trat er zur Seite und winkte jemanden herbei. Endlich war ich im Begriff, einen Tempel der New Yorker Nächte - genauer gesagt: ihr Allerheiligstes - zu betreten, auch wenn der Typ, der mich empfing, ein kleiner Kerl in einem bordeauxroten Spencer, dessen Revers mit glitzerndem Strass eingefasst war, ohne Weiteres als Kellner des Patriarca hätte durchgehen können. Ich folgte ihm eine neonrote Spur entlang durch eine Art Schlauch, in den gedämpft der Lärm der Tanzsäle drang, bis zu einer dicken blauen Glastür, hinter der wir eine Reihe verrauchter, schummrig beleuchteter Räume durchquerten. In Wandnischen um niedere Tische herum saßen Unmengen von Leuten. An einem dieser Tische sah ich Cybill.
Sie hatte eine Flasche vor sich und machte ein finsteres Gesicht. Sie trug eine Art Unterrock, der so ausgeleiert war, dass die Brustwarzen herauslugten - wirklich kein erhebender Anblick. Als ich mich setzte, sah ich auf ihre langen nackten Beine. Sie warf sich mir an den Hals und überhäufte mich, ohne eine Wort zu sagen, mit Küssen. Ich seufzte und rückte zur Seite. Mir war vor allem heiß.
»Zieh deine Jacke aus, du bist doch nicht im Büro«, sagte sie kopfschüttelnd.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte ich dümmlich.
»Was-ist-denn-mit-dir-lo-o-os?«, wiederholte sie und lachte mir ins Gesicht. Sie schenkte mir ein Glas ein und befahl wie von einem anderen Planeten: »Trink!«
Ich gehorchte und spürte, wie sich ihre Lippen zwischen die meinen drängten, um mir die Flüssigkeit - den Bourbon, um genau zu sein - aus dem Mund zu saugen. Bei dieser Operation ging die Hälfte daneben, also hielt sie mich mit einer Hand am Nacken fest und führte mich die Bourbonspur entlang bis hinunter zum Busen.
»Du bist verrückt«, murmelte ich.
Sie stieß mich von sich weg. Dann warf sie die Haare zurück und sagte plötzlich mit einem süßen Lächeln: »Ja, mein Liebling, du hast recht … Ich bin verrückt.«
Auch ich war verrückt. Vollkommen verrückt nach ihr. Ich fing an, sie zu küssen, sie zu drücken, sie zu befummeln. Irgendwann hatte
Weitere Kostenlose Bücher