Ferne Verwandte
ebenfalls ein so interessantes Leben zu führen. Doch auch Pit hat Träume. Er hat sein Leben satt - und ich hatte geglaubt, es sei das Höchste! Nach Amerika möchte er gehen. »Aber nicht zum Arbeiten! Sobald ich dort bin, nehme ich mir einen riesigen Cadillac-Schlitten und kurve überall herum. Zaster gibt’s da genug, man muss nur die richtige Idee haben, um sich was davon unter den Nagel zu reißen. Natürlich, wenn ich noch länger bei Padre Pio geblieben wäre … Das ist so einer, der muss die Leute nur anschauen, und schon geben sie ihm, was er will. Ein bisschen habe auch
ich dabei gelernt, aber im Priesterseminar war es hart. Ich wollte frei sein und bin ausgerissen, bloß um mich wie ein Idiot in eine Fabrik einzusperren. Damit ist jetzt Schluss! Mir fehlt nur noch die zündende Idee. Am besten, man schaut sich um und reist durch die Gegend. Bald fahre ich nach Marokko.«
Als ich das höre, bekomme ich einen Kloß im Hals, aber hast du im Ernst erwartet, dass er ewig hierbleibt?, frage ich mich, während er mir durch die Haare wuschelt und lächelnd erklärt: »Für dich, mit einem solchen Onkel, ist das etwas ganz anderes, mein kleiner Tscharlz. Du kannst immer nach Amerika gehen, oder?«
»Na klar«, antworte ich, auch wenn es das erste Mal ist, dass ich überhaupt darüber nachdenke, und überlege, wie die Großmutter das aufnehmen würde. Aber es ist noch keinen Monat her, dass Pit aufgetaucht ist, und schon sind Nonnilde und meine ganze frühere Existenz nur noch eine blasse Erinnerung. Während ich Buschblätter rauche und wir uns über unsere Zukunft unterhalten, komme ich mir älter vor als zehn, als zwanzig Jahre sogar, und auf die Großmutter pfeife ich. Aber dann, beim Einschlafen, denke ich über alles nach. Bald ist die Zeit vorbei, und ich müsste eigentlich Pit fragen, ob wir nicht gleich zusammen abhauen sollen, dann würde Onkel Richard auch ihm weiterhelfen. Ich muss mir einen kleinen Vortrag zurechtlegen.
In der Zwischenzeit ist das Leben auf dem Hof komfortabler geworden. Vitina hatte nach einigen Tagen ihre Kanalisationsarbeiten beendet und beglückte uns mit einem schmucken, lauschigen Klo und einer Dusche, die gleich daneben in der von ihrem Sohn am Strand von Salerno »entfernten« Badekabine installiert worden war - vom Gestank her zu schließen, der immer noch aus dem Gemüsegarten kam, waren allerdings ich und Pit wohl die Einzigen, die das Klo benutzten. Ich schlief zusammen mit ihm im Zimmer unter dem Dach, und am Morgen wachten wir auf, wenn das Sonnenlicht durch die Dachziegel sickerte. Am Nachmittag büffelte ich Englisch. Pit übte Saxophon: Irgendwo hatte er gelesen, dass Frank Sinatra und Dean Martin für ihre Orchester italienische Musiker
bevorzugten, und auch das könnte also eine Chance für einen Anfang sein. Auf dem Pfad des Lernens brachte er mich dadurch voran, dass er mich in die Tricks des Tressette einweihte, mir die Namen der wichtigsten Musikbands verriet und mich, wo immer das ging, zu klauen lehrte. Vor allem aber brachte er mir bei, wie man Frauen erobert. Auf diesem Gebiet war er tatsächlich ein Meister.
Abgesehen von Imma, Dolores und ein paar weiteren Ehefrauen von Brummifahrern, die wochenlang unterwegs waren, und abgesehen von einer bescheidenen Anzahl von Frauen, deren Männer emigriert waren und die, kaum dass sie ein auswärtiges Auto sahen, auf ihren Balkonen erschienen, um die Blumen zu gießen und herzuzeigen, was sie herzuzeigen hatten - Frauen, die sich nur nach zwei Dingen sehnten: dass man sie anständig befriedigte und hinterher nicht in der ganzen Gegend schlecht machte, und diese Wünsche konnte er beide problemlos erfüllen-, abgesehen von dieser Art von leichter Beute also, stellte sich heraus, dass wirklich alle Pit unwiderstehlich fanden.
Eines Morgens gehen wir zum Beispiel zur Post, um ein Paket abzuholen - Diebesgut, das er in Mailand nicht mehr ins Auto bekommen hatte. Die Angestellte trägt so ein Blüschen, durch das man dank der Transparenz des Büstenhalters und des besonderen Lichts an bestimmten Tagen - und genau einen solchen Tag haben wir - die Brustwarzen sehen kann; außerdem ist sie blond, aus Savoyen und geschminkt, und dies sind Merkmale, die sie in den Augen meiner bäuerischen Mitbürger zu einem leichten Mädchen machen. Wenn man ein paar Gelähmte, den Blinden, einen der beiden Pfarrer, vier der fünf der Impotenz Verdächtigen und einen winzigen Prozentsatz der über Siebzigjährigen abzieht, dann haben
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