Ferne Verwandte
es alle schon einmal bei ihr versucht. Allem Anschein zum Trotz ist Berenice Dache - so ihr Name - aber eine tugendhafte junge Frau. Der einzige Ort, wo man sie außerhalb der Arbeit antreffen kann, ist die Kirche, und zwar während der Frühmesse, derselben, die auch meine Cousine Tea besucht. Niemand würde es gern wissen wollen, aber bei dem Gebet, das sie täglich an den Herrgott richtet,
geht es darum, dass doch bitte baldmöglichst ihrem Versetzungsgesuch entsprochen werden möge. Sie hat es schon einen Monat nach ihrer Ankunft hier eingereicht, und zwar nicht etwa, weil es sie stört, in einem Dorf zu arbeiten - sie hat immer in einem Dorf gelebt, genauer gesagt, in Tronzano di Vercelli -, sondern weil das Dorf, in dem sie gelandet ist, im Süden liegt, so tief im Süden zumal. Dass wir uns recht verstehen: Sie ist keine Rassistin - zumindest nicht im engeren Sinne.
Aus wohlhabender Familie stammend, hat sie sich bei der Post mit dem einzigen Ziel beworben, einem Seelenverwandten zu begegnen: Früher oder später würde jener Märchenprinz das ihr zugewiesene Postamt betreten und sie aus den Nöten einer einsamen Existenz befreien - auch wenn sich jeder, der sie einmal gesehen hat, fragen würde, warum ein so blühendes Mädchen so sinnreicher Tricks bedarf, um zu bekommen, was sich die meisten Frauen, die hässlichsten nicht ausgenommen, im Allgemeinen problemlos beschaffen, nämlich einen Lump von einem Ehemann. Auch sie fragt sich das, wenn sie im Spiegel die Formen betrachtet, die sie von ihrer Mamma geerbt hat, blond und aus Savoyen auch sie, aber im Gegensatz zu ihr eine Nutte - allerdings nicht von Berufs wegen und darüber hinaus ordnungsgemäß verheiratet. Tatsache ist, dass Tronzanos Söhne von Berenice Dache trotz ihrer untadeligen Führung und ihrer eifrigen Kirchenbesuche (die sie auch unternimmt, um den Schatten zu entfliehen, die das mütterliche Verhalten auf ihre Person wirft) ausschließlich das wollen, was Tronzanos Vätern von ihrer Mutter zuteil wurde - ja, oft sind es wieder dieselben Väter, die Anspruch darauf erheben. Deshalb also hat Berenice ihre letzte Hoffnung, die wahre Liebe zu finden, in ihrem neuen Status als Postangestellte und in der Versetzung aus jenem Ort gesehen, in den sie hineingeboren wurde und in dem sie blutenden Herzens ihren innig geliebten und hundertfach betrogenen Vater zurücklassen musste. Doch die meisten Männer, die in jenen Jahren in einem zwischen den unwegsamen Bergen des südlichen Apennin verlorenen Nest das Postamt betreten - sofern sie überhaupt groß geworden
sind, sind sie mit Kartoffeln groß geworden, dem Hauptgericht der sogenannten faschistischen Autarkie, um dann anschließend mit der kalorienreichen Kost des Marshallplans vollgestopft zu werden, einer Kost, die auf lange Sicht und in Verbindung mit einer angemessenen sportlichen Betätigung selbst einer zutiefst meridionalen Rasse aufhelfen sollte, vorläufig aber nur schwitzende Speckkugeln hervorgebracht hatte -, diese Männer des Südens also sind so ganz anders als der große, blonde, blaugrünäugige Märchenprinz, von dem Berenice Dache immer geträumt hat. Und dass Berenices Ideal rein ästhetischer Natur ist, beweist die Tatsache, dass sie sogar den Heiratsantrag von Cosimo Cordova ablehnt, der zwar der Erbe der reichsten Familie am Ort, vor allem aber klein und dick ist und außerdem von einem dichten Pelz überwuchert, der üppig aus Kragen und Manschetten seiner zugegebenermaßen eleganten Hemden herausquillt - eine Art Zwerg-Yeti also.
Folglich ist es nur natürlich, dass die Dache, sobald sie des Normannen gewahr wird, der in besagtem Amtsgebäude Einzug hält, endlich ihren Märchenprinzen gefunden zu haben glaubt, zumal er samt seinem wohlkalkulierten Desinteresse tausend Meilen von jenen geilen Böcken entfernt zu sein scheint, die bislang um sie herumgestrichen sind. Es handelt sich um einen klassischen coup de foudre - zumindest ihrerseits, denn Pit bewahrt seinen Gleichmut auch dann, als Berenice sich über das Paket beugt und mit dieser einfachen, fließenden Bewegung nicht nur beweisen kann, mit welch reichen physischen Vorzügen, sondern auch mit was für Verführungskünsten ihre Mutter sie ausgestattet hat. Das Paket ist ziemlich sperrig, deshalb bietet Pit an, es selbst zu holen. Berenice öffnet ihm die Tür, beugt sich wieder vor, ihre Arme berühren und ihre Blicke treffen sich. Draußen heult die Mittagssirene, und Pit zögert keinen Augenblick: Er lädt sie
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