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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Vergoldung. Ich widmete mich ihm eine Woche lang, bis es mir gelang, ihm einen gefälligen Ton zu entlocken, obwohl mehrere ausgeleierte Klappen den Klang beeinträchtigten: Die klobigen Hände von Kapellmeister Fusacchio, einem Mechaniker, eigneten sich eben eher zur Reparatur von Sattelschleppern. Nun begab ich mich in den Saal, der - wie das Schild an der Tür auswies - dem illustren Maestro Amilcare De Stefani gewidmet war, dem
Gründer der bereits seit über hundert Jahren bestehenden Kapelle. Unter seinem düsteren Foto übten wir in dem bisschen Licht, das durch den ehrwürdigen Fliegendreckschleier auf der Kerzenbirne sickerte, stundenlang dasselbe Stück. Die Bauernsöhne, meine Musikerkollegen, in der Mehrzahl Mechaniker- oder Dreherlehrlinge, Hilfsarbeiter oder einfache Tagediebe, reagierten nach dem Ende der Proben einsilbig auf meine Versuche, ein Gespräch anzuknüpfen, was gewiss nicht daran lag, dass ihnen die Puste ausgegangen war. Wie ich rasch feststellen sollte, nahm Fusacchio sie nämlich wöchentlich bei Wind und Wetter mit hinaus aufs Feld, um Atemübungen mit ihnen zu machen. Dann stützten sich ihre Bauernväter auf die Hacken oder das Lenkrad ihrer Traktoren, rückten sich die Mütze zurecht, wischten sich mit dem Handrücken den Schweiß ab, zündeten sich eine Zigarette an - manche nahmen sie vom Ohr, hinter dem sie immer eine stecken hatten, andere drehten sich geistesabwesend eine zwischen Zeigefinger und Daumen - und blickten stolz oder amüsiert oder mitfühlend auf ihre Söhne, die schmetternd hinter dem Mechaniker-Kapellmeister hertrabten. Ich ließ mich bereits nach dem ersten Kilometer völlig ausgepumpt unter eine Eiche fallen. Ein gelbes Blättchen trudelte mir ins Gesicht. Ich nahm den Stiel zwischen die Zähne und hörte, die Hände hinter dem Nacken verschränkt, wie das lustige Getöse meiner Kollegen im Nebel der Landschaft verklang. Bald drangen andere Klänge an mein Ohr, die üblichen Ave Marias , und mit welch großer Genugtuung genoss ich sie, weil nicht ich es war, der sie mit dem röchelnden Saxofon hervorbringen musste. Von jenem Nachmittag an konnte meine Karriere als Mitglied einer Blaskapelle als beendet gelten.
    Stattdessen begann ich abends auszugehen. Ich musste unbedingt mit jemandem reden, weil ich die Last des Alleinseins nicht mehr ertrug. Aber ich brauchte nur auf die Piazza zu gehen, über die der Wind hinwegfegte, und eine der beiden in tristes Neonlicht getauchten Bars zu betreten - bei Glücksspiel und Alkohol versumpften dort Lottergreise und jugendliche Lümmel -, um mich
noch deprimierter zu fühlen, zumal Imma mich keines Blickes würdigte. Bis ich eines Abends an einem leichengrünen Fiat 124 vorbeikomme, aus dem Musik herausdröhnt, als wäre eine Jukebox drin, und höre, dass mich jemand ruft. Ich trete ans Fenster. Durch den Zigarettenqualm sagt Apache zu mir: »Steig ein.« Er hält mir die Tür auf, während die anderen mich nicht einmal anschauen. Deshalb frage ich zuerst:
    »Was habt ihr vor?«
    »Nichts. Was sollen wir schon vorhaben … Los, steig ein, oder bist du Rino noch böse wegen neulich?«
    Apache ist einer der beiden Schwachköpfe, die Rino beim Verkehrsmittelstreik unterstützt haben. Er hat breite Schultern und rabenschwarze lange Haare und erinnert tatsächlich an einen Apachenkrieger. So schön und so stark wie ein Apachenkrieger kommt er sich auch vor. Seine knapp eins sechzig kompensiert er mit einem stolzen und in gewissem Sinne auch eleganten Gang - ihn mit Halstüchlein, Fransentracht und rituellen Mokassins zu sehen ist eine Sensation, zumal wenn er sich mit stolzgeschwellter Brust in Begleitung seiner Mutter, fast schon einer Zwergin, präsentiert. Er geht aufs Tasso, und trotz seines egalitären politischen Credos bildet er sich allerhand drauf ein, dass er das humanistische Gymnasium besucht. Tarcisio, der neben ihm sitzt, ist der andere Streikende. Er ist ein langer Lackel, klapperdürr und käseweiß mit Hängeschultern, Kranichgang und Papageiennase - der Typ des zornigen jungen Intellektuellen, wie man ihn inzwischen auch im Süden gelegentlich sieht. Er trägt eine Kappe wie die Beatles - mehr wie Lenin - und immer denselben zerschlissenen Mantel mit zwei Reihen vergoldeter Knöpfe auf dem dunkelbraunen Samt, obwohl er der Sohn des Schneiders ist. Auch er ist Schüler am Tasso, wenngleich Gramsci-Jünger. Was mich am meisten wundert, ist, dass sich solche Typen - im ganzen Dorf gibt es kein zweites Paar wie

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