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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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Hand auf die Windschutzscheibe, und schließlich sind wir auf der windgepeitschten Piazza allein. Ganz allein jedoch nicht. Das übliche Hundepaar säuft aus dem Brunnen. Auf einer Bank schläft einer seinen Rausch aus. Und Gilera rennt an uns vorbei, der Bruder der Campochiaro-Mädchen, auf seinem imaginären Motorroller. Seit seiner Kindheit hat er diese Marotte. Ich habe ihn nie normal gehen sehen, immer rennt er, die Hände an einer ziemlich hohen Lenkstange. Im Affenzahn flitzt er vorbei und veranstaltet mit dem Mund ein Hupkonzert, und jedes Mal, wenn er einen anderen Gang einlegt, macht er ein anderes Geräusch.
    »Der ist total plemplem«, stellt Apache fest.
    »Der hat wohl seine Schwestern nackt gesehen und sich von dem Anblick nicht mehr erholt. Das ist bestimmt’ne Wucht! Stell sie dir vor, wie sie nackt aus dem Badezimmer kommen, nur in Unterhose und die Arme über den Titten gekreuzt.«
    »Aber die haben doch gar kein Badezimmer! In Zürich würde man zwei solche überhaupt nicht anschauen, wo es doch so viele Besserere gibt«, verkündet der Helvetier.
    »Mir gefällt aber der mediterrane Typ!«
    »Apache, du bist der sattsam bekannte unterentwickelte Südländer.«
    »Unterentwickelt - ich? Ich zeig dir gleich, wie unterentwickelt ich bin!«
    »Hör doch auf! Ziehst ja eh den Kürzeren … Und willst du das wirklich vergleichen mit den Blondinen und dass sie es mit fünfzehn mit dir treiben und dass du, wenn sie es nicht tun, immer noch zu den Nutten gehen kannst? Hier gibt’s ja nicht mal Nutten … Schau dich doch um, was das für ein Elend ist.«
    In der Tat. Die Bar Rosetta auf der anderen Straßenseite hat schon geschlossen, und dabei ist es noch nicht einmal neun. Imma ist gerade herausgekommen, um die Jalousie herunterzuziehen,
und entblößt bei der Bewegung ihre nervösen netzbestrumpften Oberschenkel. Eingehüllt in eine Wolke aus Rauch und Musik, starren wir sie aus dem leichengrünen Fiat 124 gierig an.
    »Und eine wie Imma, was ist mit der?«, fragt Apache in einem Anfall von patriotischem Stolz. »Oder graut dir vielleicht vor dem schwarzen Pelz, den sie untenherum haben muss? Mir schwant, dass du vom vielen Reden so ein Schweizer mit vielen Löchern wirst, nicht so, wie unser Carlino hier, der nichts anbrennen lässt. Hab schon gesehen, wie du dich im Bus an die Mädchen ranmachst.«
    »Ich weiß mir zu helfen«, räume ich ein.
    »Schon recht, aber trotzdem: So ausgehungert sie auch sind, und da hat Edelweiß vollkommen recht: Mit dir werden sie es niemals treiben, und weißt du auch, warum?«
    Ich denke scharf nach, komme aber wirklich nicht drauf.
    »Ganz einfach. Nicht, dass du denen nicht gefällst. Aber du bist aus dem Dorf, und sie haben Angst, dass du sie hinterher durch den Dreck ziehst. Aber wenn die Dinge so stehen, was bleibt uns aufgegeilten Männern dann eigentlich übrig?«
    »Der Aufbruch ins Unbekannte!«, antworten Tarcisio und der Schweizer unisono wie auf das Stichwort in einem Drehbuch.
    Und dieser Aufbruch folgt sogleich. Wir versuchen es zumindest, denn der leichengrüne 124er röchelt, als läge er in den letzten Zügen. Wir müssen aussteigen und schieben ihn bis zur abschüssigen Straße hinter der Piazza, wo der Motor zu husten anfängt. Keuchend springen wir hinein, die Hände nass vom Raureif, aber voller Begeisterung, als würden wir uns in wer weiß was für ein Abenteuer stürzen. Ich brauche mich allerdings nur umzudrehen und im unbeweglichen Licht der Straßenlaternen die letzten Häuser des Orts zu sehen, und schon spüre ich, wie sich mir vor Heimweh das Herz zusammenkrampft. Irgendwie unglaublich, aber ich denke tatsächlich an Onkelchen und Tantchen, die vor dem Fernseher schnarchen, an das Feuer, das im Kamin züngelt, sogar an Nonnilde in ihrem Arbeitszimmer und an mein eigenes leeres Kämmerchen. Mir ist,
als verriete ich für immer meine kleine Welt, und in diesem Augenblick frage ich mich, wie ich es jemals schaffen soll, nach Amerika zu gehen. Auch meine Freunde sind schlagartig verstummt. Wer weiß, vielleicht denken auch sie über das Schicksal nach, das sie erwartet. Genau wie heute Abend wegen einer Traumfrau werden sie früher oder später wegen der anderen Dinge, die im Leben von Nutzen sind, weggehen müssen. Wo werden Apache und Tarcisio landen? In Turin, Bologna oder Mailand, aber nicht unbedingt in den Städten selbst, weil es dort zu teuer ist, sondern in irgendeinem Dorf in der Umgebung, das sich am Ende gar nicht so sehr von

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