Fesseln der Erinnerung
unzureichende Schilde flossen, Gespräche, die im Netz außerhalb von gesicherten Kammern stattfanden. Mit der Zeit verschwanden sie – aber wann genau das geschah, konnte niemand vorhersagen. Einmal hatte sie etwas gehört, das sich auf Ereignisse bezog, die hundert Jahre zurücklagen. Und manche Kommentare verschwanden schon, sobald sie ausgesprochen waren.
Man konnte sich ewig in diesem Strom tummeln. Doch Sophia hatte schon als Praktikantin gelernt, besonders wirksame Filter bei ihren Nachforschungen zu benutzen – einen Sommer lang hatte sie für einen Staatsanwalt gearbeitet, einen anderen für einen Richter, und jedes Mal hatte sie nach ganz bestimmten Informationen suchen müssen. Nun suchte sie mit diesen Fähigkeiten nach Hinweisen auf die Makellosen Medialen.
Und wurde fündig.
Das meiste waren Gerüchte, denn offiziell existierte diese Gruppierung gar nicht. Dennoch schien jeder im Medialnet sie zu kennen. Ein sehr effizientes Vorgehen, musste Sophia zugeben. Diejenigen, die mit den Ansichten der Makellosen Medialen übereinstimmten, würden versuchen, sie ausfindig zu machen. Die anderen würden sie als eine Randerscheinung abtun.
Sie begann, sich durch die Masse der Informationen zu wühlen, und bekam einen Eindruck davon, mit welcher Hinterlist sich die Makellosen Medialen ausgebreitet hatten. Man munkelte über sie auf Französisch, Malaiisch, Russisch, Griechisch, auf Maori, Suaheli, Tonga, Urdu und mehreren anderen Sprachen, die sie nicht sofort identifizieren konnte. Sie speicherte so viele Daten, wie sie konnte, um sie später zu übersetzen, und konzentrierte sich auf das, was sie verstand.
… zum Besten der Gattung.
Die Makellosen Medialen haben das Recht …
Außerhalb der Kontrolle des Rats …
… haben Rückhalt. Mit Sicherheit vom Rat.
Ich weiß nicht, welchen Wert es haben sollte, das Medialnet zu schließen.
Sie stecken hinter den Aufräumaktionen bezüglich Jax …
Jax – dieses Wort weckte Sophias Interesse. Jax war die Geißel der Medialen, eine Droge, der man nachsagte, sie würde die Basis der Konditionierung zerstören und Gefühle zulassen. Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, diese Ansicht war nicht auszurotten. Doch Sophia hatte bemerkt, dass sich kürzlich die Anzahl der Abhängigen auf den Straßen reduziert hatte – seit sie in San Francisco eingetroffen war, hatte sie überhaupt keinen mehr gesehen.
Natürlich konnte das auch auf die starke Präsenz der Gestaltwandler zurückzuführen sein. Die Jax-Abhängigen neigten dazu, sich medialenfreundliche Umgebungen zu suchen.
In meiner Familie wird das Für und Wider abgewogen.
… zum Besten der Medialen. Das wird uns wieder …
Gestaltwandler und Menschen haben keinerlei Bedeutung. Das Einzige, was zählt, ist das Medialnet.
Letztere Bemerkung gehörte zu den eher heimlichen Äußerungen und zum Tenor der Makellosen Medialen. Die Gruppierung verfolgte eine Politik der Isolation. Vertrat den Glauben, das Medialnet sei durch äußere Einflüsse korrumpiert und wollte dafür sorgen, dass alle Medialen wieder in den Schoß der Familie zurückkehrten.
Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob diese es wollten oder nicht.
Nachdem es ihm gelungen war, an die Daten aus Andre Tulanes Privatwagen zu kommen – dank der diskreten Unterstützung des leitenden Mechanikers des Duncan-Unternehmens – befand sich Max auf dem Weg zu dem Ort, wohin der schlanke, schwarze Mann jeden zweiten Dienstag gefahren war. Max’ Magen knurrte, er hielt an einem Imbiss, gab seine Bestellung auf und rief bei Sophia an.
„Es geht ihr gut“, sagte Faith leise. „Sie hat sich gerade hingelegt, aber sonst ist alles in Ordnung.“
Die Vorstellung von Sophia, die sich auf ihrem Bett zusammengerollt hatte, ließ in ihm eine Wärme aufsteigen, die nichts mit Sex, aber jede Menge mit seinem Beschützerinstinkt zu tun hatte. „Rufen Sie mich an, falls sich das ändert.“
Schweigen am anderen Ende. „Max, sie ist eine J-Mediale. Sie wissen doch, was das heißt.“
Aus ihrem Ton sprach so viel Sorge, dass er sich ihre Einmischung nicht verbat. Faith konnte wahrscheinlich mehr als jeder andere außerhalb des J-Medialen-Dienstes verstehen, unter welchen Druck man dort stand. „Ja, weiß ich. Deshalb muss ich mich noch lange nicht damit abfinden.“
„Sie klingen genau wie Vaughn.“
Da es dem Gestaltwandler gelungen war, seine Gefährtin zu retten, war das bestimmt nicht das Schlechteste.
Max verabschiedete sich, griff nach seinem
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