Fesseln der Erinnerung
fünf hatten sich freiwillig gemeldet, sie vertrauten ihr genug, um ihr zu gestatten, sie mit friedlichen Gefühlen zu füttern – nachdem sie sich künstlich aufgeregt hatten.
„Aber es funktioniert nicht!“ Sie fuhr sich mit der Hand über den runden Schwangerschaftsbauch und stapfte nach draußen, wo ihr Gefährte mit bloßem Oberkörper ein Fenster der Hütte austauschte. Das Baumhaus über ihnen war seit Kurzem verbotenes Terrain, Lucas knurrte jedes Mal, wenn sie auch nur im Scherz andeutete, hinaufklettern zu wollen.
„Sascha-Schätzchen“, sagte er und wischte mit seinem T-Shirt die Fingerabdrücke von dem eben eingesetzten Glas, „wenn dein Teufelsbraten-Fanclub das nächste Mal Fangen spielen will, sollten sie das gleich in Dorians Hütte tun.“
Der „Teufelbraten-Fanclub“ waren die Zwillinge Roman und Julian – und Dorians Heim war ganz aus Glas. Normalerweise hätte sie dieser sehr katzenhafte Kommentar zum Lachen gebracht. Aber heute stampfte sie nur übellaunig mit dem Fuß auf. „Dieses Buch setzt einfach zu viel Wissen voraus. Als könnte ich mir wundersamerweise einfach die Informationen aus dem Himmel pflücken!“ Sie stampfte noch einmal auf. „Was ist das bloß für eine Arbeit? Eine Doktorandin müsste es eigentlich besser wissen –“
„Sascha!“
Ihr Kopf fuhr hoch, beinahe hätte sie ihn angeknurrt. „Was denn?“
Er beugte sich ganz langsam vor, umfasste ihre Schultern und küsste sie. So lange, bis ihre starre Haltung sich löste und sie die Hände auf die warme, weiche Haut seiner Schultern legte. „Du musst dir die Haare schneiden lassen“, murmelte sie. Die schwarzen Haare waren so lang, dass sie ihre Hände berührten.
Er küsste sie noch einmal und lächelte. „Ich fürchte mich vor Scheren.“
„Ausflüchte.“ Sie strich über sein Haar. „Du stellst dich genauso verrückt wie die Mädchen an, wenn es um dein Haar geht.“
„Erwischt.“ Eine warme, liebevolle Hand auf ihrem Bauch. „Was macht der Rockstar?“
„Getöse, wie immer.“ Schon ein paar Wochen nach der Empfängnis hatte sie die Lebensenergie ihres Babys gespürt. Jetzt, im fünften Schwangerschaftsmonat, war das kleine Wesen beständig in ihrem Bewusstsein. Meistens war es zufrieden, häufig glücklich und manchmal im siebten Himmel. So wie jetzt. Es kannte die Stimme seines Vaters, wusste, wann er da war. „Vielen Dank für den Kuss.“ Beistand ohne Worte.
„Schon schwer, mit deinen Forderungen Schritt zu halten“ – er seufzte dramatisch – „aber irgendjemand muss es ja tun.“ Als sie knurrte, küsste er sie lachend – inzwischen knurrte sie fast genauso gut wie er.
„Also“, sagte er und ließ sie zu Atem kommen. „Der Trick mit dem Kanalisieren von Gefühlen hat nicht funktioniert?“
„Doch – schon. Aber nur ganz kurz. Ich kann es höchstens dreißig Sekunden halten.“ Sie drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an ihn. „Irgendetwas muss ich übersehen haben.“
Lucas legte den Arm um sie. „Hast du dir einmal überlegt, dich an Dev zu wenden?“, fragte er. Dev führte die Vergessenen – Mediale, die schon vor mehr als hundert Jahren das Medialnet verlassen und ein eigenes Volk gegründet hatten.
„Ich habe schon darüber nachgedacht.“ Sie legte die Hände auf seine Arme. „Ich wünschte … ich wünschte, Nikita hätte dieselbe Freude wie ich empfunden. Manchmal fragte ich mich, ob sie mich auch gehört hat, so wie ich jetzt unser Baby, oder ob Silentium eine solche Verbindung blockiert.“
„Das wird es wohl“, sagte Lucas und küsste ihre Schläfe, er roch wild und nach sauberem Männerschweiß. „Wie sonst könnte eine Frau neun Monate lang ein Kind austragen und es dennoch nicht von Herzen lieben?“
Sascha tat es unglaublich leid, dass ihre Mutter dieses schöne Gefühl nicht gespürt hatte. „Meinst du, es hat für sie irgendeine Bedeutung, dass sie bald Großmutter wird?“ Bislang war es ihnen gelungen, die Schwangerschaft vor der Öffentlichkeit zu verbergen – geeignete Kleidung und die Lage des Kindes waren dabei eine Hilfe gewesen – , aber bald würde sich die wundervolle Neuigkeit nicht mehr verheimlichen lassen.
Lucas massierte ihr liebevoll den Rücken. „Besser?“
„Woher wusstest du das?“ Sie küsste seinen Oberarm. „Wenn du so weitermachst, schmelze ich dahin.“
Doch der Panther wurde ganz ernst. „Willst du deine Mutter sehen, Kätzchen?“
„Ich weiß es nicht.“
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