Fesseln der Erinnerung
Geburt wurden vor fünfundzwanzig Jahren bei einem Brand vernichtet, unglücklicherweise waren sie vorher nicht archiviert worden. Deshalb können wir Ihnen zu unserem Bedauern nicht bei Ihrer Suche behilflich sein.
– „ Sisters of Hope “ -Krankenhaus, New York City,
an Max Shannon im Januar 2079
Max und Sophia sprachen erst wieder miteinander, als sie sich auf dem Weg zu der Werkstatt befanden, wo Nikita das Fahrzeug untergebracht hatte, in dem das vermutlich dritte Opfer gestorben war.
„Müssen Sie sich nur vor Gestörten in Acht nehmen?“ Max’ Gedanken kreisten immer noch um den Gedanken, dass die Frau, deren Haut er vom ersten Augenblick hatte streicheln wollen, deren Körper Sirenenklänge an seinen sandte, für alle Zeit unerreichbar sein sollte.
„Die meisten Polizisten“, sagte Sophia leise, doch jede Silbe schnitt wie ein Skalpell in seine Haut, „tragen genauso viele Albträume mit sich herum wie J-Mediale. Die Berührung eines jeden würde wie ein Blitz in meinem Kopf einschlagen.“
Seine Hände umklammerten das Lenkrad, als sie fortfuhr. „Jeder Mediale kann sensitiv werden, aber J-Medialen passiert es am häufigsten. Als Gegenmaßnahme hat der Rat einst überlegt, jede Berührung von Geburt an zu versagen, aber es stellte sich heraus, dass ein solches Vorgehen zu … unerwünschten Konsequenzen führte. Deshalb wird uns die Aversion gegen Berührung erst in den letzten Phasen der Konditionierung beigebracht.“
Max dachte an die Stunden und Tage, in denen er in einem dunklen Kasten eingesperrt gewesen war und nicht einmal auf eine freundliche Hand hoffen konnte, als er endlich herausgelassen wurde. Dennoch hatte er schon damals gewusst, dass er noch Glück gehabt hatte. Er kannte Bilder aus Waisenhäusern im 20. Jahrhundert, in denen man Kinder in ihren Betten verrotten ließ. Sie hatten unwiderrufliche Schäden davongetragen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mediale ihre Kinder in den Schlaf wiegen“, sagte er und spürte einen Stich in seinem Herzen.
Er würde sein Kind in den Schlaf wiegen, verdammt noch mal, das stand außer Frage. Weder sein Sohn noch seine Tochter würden sich je fragen müssen, was mit ihnen nicht stimmte, weil die eigenen Eltern ihren Anblick nicht ertragen konnten. „Und welche Art von Berührung“, fragte er und schluckte den Schmerz der Vergangenheit hinunter, „ist während der Kindheit erlaubt?“
„Die Schwestern halten die Kinder beim Füttern im Arm, manchmal tragen sie die Kleinen auch herum. Es wird ihnen der optimale Grad von Kontakt verordnet, um ihre geistige Gesundheit zu erhalten.“
Das klang klinisch kalt. Aber zum Teufel, es war besser als das, was er bekommen hatte. Ob seine Mutter vielleicht doch so etwas wie mütterliche Anwandlungen gehabt hatte, als er ganz klein und hilflos gewesen war? Kaum vorstellbar. Ein solch tiefer, grausamer Hass musste von Anfang an langsam herangewachsen sein.
Auf Sophias Organizer leuchtete kurz ein Licht auf und holte seine Gedanken in die Gegenwart zurück. „Etwas Wichtiges?“
„Nein, nur das Neuste über einen meiner Fälle vom zuständigen Staatsanwalt. Wir haben gewonnen.“ Sie hielt sich am Armaturenbrett fest, als der Wagen plötzlich anhielt, weil die Sensoren einen Hund wahrgenommen hatten, der unvorsichtigerweise auf die Straße gelaufen war.
Max warf dem Besitzer des kleinen Terriers einen finsteren Blick zu, beließ es aber dabei. Er startete den Wagen wieder und sah nach links. „Da ist es.“ Es war an der Zeit, sich auf den Fall zu konzentrieren – und nicht auf die unmögliche Faszination, die eine J-Mediale auf ihn ausübte, die wahnsinnig werden konnte … vielleicht sogar starb, sobald er sie berührte.
„Kennen Sie sich mit Wagen aus?“, fragte Sophia, als sie sich zum Eingang der Werkstatt begaben, und zog sich die Handschuhe zurecht – reine Nervosität, das wusste sie. Sie konnte nichts dagegen tun, ihre Nerven lagen blank – mit jeder Sekunde, die sie in Max’ Nähe verbrachte, dachte sie mehr an den Hoffnungsschimmer, der in ihr aufgetaucht war, als sie seine Akte gelesen hatte.
Max hatte die Hände in den Hosentaschen stecken und ging neben ihr her, ohne sich der Eleganz seiner Bewegungen bewusst zu sein. Ein anderer verbotener Gedanke drängte aus den dunkelsten, geheimsten Ecken hervor – der Gedanke an etwas Intimes, an Sex. Sie hatte diese Aktivität nie in Erwägung gezogen, die fraglos die letzten Fasern ihrer Psyche zerreißen würde, aber im
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