Fesseln der Erinnerung
strich mit den Fingerspitzen über seine Handfläche.
Er krümmte die Finger, als sie sich zurückziehen wollte, als wollte er sie aufhalten. „Und?“ Wieder dieser fordernde Ton, der noch tiefer in ihre Haut eindrang.
„Ich spüre die Körperwärme.“ Wild und einladend, Wärme breitete sich in ihrem Zwerchfell aus, der gebrochene Teil von ihr verlangte nach mehr … und fürchtete sich gleichzeitig davor, dies als Chance zu begreifen. „Ich werde das Alphabet hersagen“, sagte sie, denn sie wusste, dass er ihr nicht gestatten würde, einen Rückzieher zu machen. „Wenn ich still werde, musst du den Kontakt abbrechen.“ Sie streifte einen Handschuh ab.
Max zog plötzlich seine Hand zurück. „Die Augen … was ich in ihnen sehe.“ Er fluchte leise. „Ich habe mir geschworen, dich nicht zu drängen, aber verdammt noch mal, genau das tue ich jetzt. Mein Gott.“ Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, machte eine Bewegung, als wollte er sich abwenden und gehen.
Es war allein ihre Entscheidung, das wusste sie. Sollte sie sich weiter verstecken und zurückziehen, bevor die Hoffnung unter dem Druck der Realität zerbrach … oder sollte sie gegen die Furcht ankämpfen und nach einem Mann greifen, der in ihr so sehr den Wunsch nach etwas Unmöglichem weckte, dass es fast schon an Wahnsinn grenzte?
„Ich will dich kennenlernen, Max.“ Die leise Stimme war ihm schon so vertraut und ans Herz gewachsen, dass sie ihn in einem sanften Bann hielt. „Vorher … will ich dich kennenlernen.“ Sie trat auf ihn zu, wartete, bis er ihr die Hand entgegenstreckte … und strich dann mit den Fingern über seine Handfläche.
Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es ihn. Zischend stieß er die Luft aus und ballte die Faust, während sie einen Schritt nach hinten machte.
„Sophia?“ Instinktiv wollte er zu ihr gehen und ihr Gesicht mit beiden Händen umfangen. Sich das zu verbieten – nichts war ihm jemals zuvor so schwergefallen. „Stimmt etwas nicht?“ Es machte ihn verrückt, dass er ihr vielleicht wehgetan hatte.
„Alles in Ordnung. Es tut mir leid, mir geht’s gut.“ Aber ihre Stimme zitterte, und sie starrte seine Hand an. „Ich habe keine deiner Erinnerungen wahrgenommen. Du bist so glatt wie ein Stück Holz.“
Verdammt, die Erleichterung war wie ein Schlag in den Magen. „Man hat mich schon Dickschädel genannt, aber nie ein Stück Holz.“
„Ich wollte dich nicht beleidigen.“
Ihre Lippen waren zu verführerisch, er hätte sie gerne damit geneckt, ihr zu sagen, sie könnte das wiedergutmachen, aber sie stand so steif und ängstlich da, dass er wusste, er würde noch warten müssen, ehe er etwas von ihrer Sinnlichkeit würde kosten können. „Das war nur ein Scherz, Sophie.“
„Ach.“
Er streckte die Finger, sah das Aufleuchten in ihren Augen. „Du hast es doch auch gespürt, nicht wahr?“
Sie wandte sich ab und ging um ihn herum, um ihm die Tür zu öffnen. „Wir sehen uns morgen, Max.“
Nachdem Sophia die Tür hinter Max geschlossen hatte, lehnte sie sich dagegen, bis sie hörte, dass sich seine Tür öffnete und wieder schloss. Erst dann ließ sie sich auf den Boden gleiten und streckte die Beine aus. Ihr Körper summte vor Energie, so etwas hatte sie noch nie erlebt.
Sie sah ihre rechte Hand an und fuhr mit dem Daumen über die Fingerspitzen in dem verzweifelten Versuch, die Empfindungen zu verstehen. Es war so … sie fand keine Worte dafür, konnte sich die Heftigkeit nicht erklären, die sich jeder Beschreibung entzog.
Das Paradoxe war jedoch, dass sie nicht gelogen hatte, denn obwohl der Kontakt fast schmerzhaft gewesen war, war Max für sie wirklich so blank wie ein Stück Holz oder ein Kunstbetonklotz.
Stille – Silentium.
Zum ersten Mal im Leben war dieses Wort etwas anderes für sie als die Konditionierung, die sie eingesperrt hatte, obwohl sie dadurch am Leben geblieben war. Max war wie eine Mauer der Stille gewesen, eine unerwartete Oase in der lauten Welt. Doch ihre Reaktion auf seine Berührung hatte den überraschenden Frieden zunichtegemacht.
Sie starrte wiederum auf ihre Hand. „Ich verstehe das nicht.“
Max kannte sicher die Antwort, das hatte sie in seinem Gesicht gesehen. Die Frage war nur, ob sie diese Antwort auch wissen wollte.
Kaum hatte sie das gedacht, klopfte jemand telepathisch bei ihr an. Sie erkannte ihren Vorgesetzten beim J-Medialen-Dienst, Jay Khanna, setzte ihre perfekte Fassade auf und antwortete: Ja, Sir. Er würde nicht
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