Fesseln der Erinnerung
NightStar verfolgt. Hellsichtige waren gerüchteweise psychisch noch instabiler als J-Mediale – doch Faith hatte überlebt. Obwohl Sophia immer gewusst hatte, dass eine Abkehr vom Medialnet für sie nicht infrage kam, da ihr Geist so unentwirrbar mit dem Netzwerk verwoben war, war das Überleben von Faith NightStar ein Sieg für alle gewesen, die als wahnsinnig bezeichnet wurden und ausgelöscht werden sollten.
„Ja“, sagte sie als Antwort auf Max’ Frage. „Anthony hat auch Beziehungen zu Gestaltwandlern, aber meinen Erkenntnissen nach ist Nikita die Einzige, die den ersten Schritt von sich aus gemacht hat, als sie Geschäftsbeziehungen zu den im Baugeschäft tätigen DarkRiver-Leoparden aufnahm.“
Max wechselte die Spur, auf seiner Stirn erschienen Falten. „Könnte etwas damit zu tun haben“, murmelte er, sie konnte fast hören, wie es in seinem Kopf arbeitete und er mit einer Geschwindigkeit Zusammenhänge herstellte, die selbst Mediale, die von der geistigen Überlegenheit ihrer Gattung überzeugt waren, in Erstaunen versetzt hätte. „Kennst du Einzelheiten aus den Verträgen?“
Sie zwang sich, den Blick von seinem Profil und dem glatten schwarzem Haar abzuwenden und auf ihren Organizer zu schauen. „Es sieht so aus, als würde ihre Firma nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern weltweit Immobilien für Gestaltwandler verkaufen. Ein Motiv für die Morde könnte Konkurrenz sein.“
„Das würde hineinpassen.“ Max trommelte mit einem Finger auf das Lenkrad. „Alle Opfer waren gerade dabei, große Geschäfte abzuschließen.“
Überrascht ging Sophia die relevanten Informationen durch und stellte fest, dass Max recht hatte. „Alle drei waren wichtige Stützen der Firma, hatten etwas ganz Besonderes vor“, sagte sie laut. „Ihr Tod hat die Sache jedes Mal scheitern lassen .“
„Zwischen den Geschäften besteht kein direkter Zusammenhang“, sagte Max. „Wir müssen herausfinden, ob es einen indirekten gibt, ob zum Beispiel ein spezieller Konkurrent besonders davon profitiert, wenn Nikita aus dem Rennen ist –“ Ein Klingeln unterbrach ihn. „Das ist mein Handy.“ Es lag auf dem Armaturenbrett, er wies in die Richtung. „Kannst du mal nachsehen, wer es ist?“
„Natürlich.“ Sie nahm das Handy und sah auf die Nummer des Anrufers … ihr Kopf wurde ganz leer und die Kälte, das Andere in ihr, erwachte zum Leben. „Es ist der Staatsanwalt, Mr Reuben.“
14
Ich kann Ihnen nur wiedergeben, was der Beschuldigte vor zehn Monaten in diesem Zimmer getan hat. Um die Frage zu beantworten, ob er eine Bestie ist, müsste ich mit Bestien sehr vertraut sein.
– Antwort von Sophia Russo (J-Mediale)
auf eine Frage der Staatsanwaltschaft im Fall 23180:
Der Staat Nebraska gegen Donnelly
Mit zusammengekniffenen Lippen hielt Max auf dem halb leeren Parkplatz eines noch geschlossenen Restaurants an.
Aus seinen Antworten erschloss sich Sophia den Grund für den Anruf. „Bonner will noch einmal mit mir reden.“ Der Gedanke daran, sich noch einmal in diesen Geist voller Gemeinheiten zu begeben, ließ ihren Körper vor Abwehr starr werden.
Man sollte ihn lieber töten.
Denn er konnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte, der ihre Schilde unwiderruflich zerstörte. Und Sophia war noch nicht bereit dazu, ihren Verstand zu verlieren, ihre Persönlichkeit auslöschen zu lassen. Gerade erst hatte sie Max gefunden, der die kalten, dunklen Seiten in ihr mit Licht füllte. Ihre Finger umklammerten den Organizer, sie kämpfte gegen die Rachegedanken an, die in den dunklen Tiefen ihres Kopfes auftauchten, und brachte das Andere zum Schweigen.
„Der Mistkerl behauptet, er wolle etwas mitteilen, Erinnerungen, zu denen er jetzt Zugang habe.“ Max legte den Arm auf die Rückenlehne des Beifahrersitzes und spielte wieder wie vorhin in der Wohnung mit ihrem Haar.
Sie entzog sich ihm nicht. Brachte ihm inzwischen Vertrauen entgegen, eine zarte Pflanze, die in der elektrisierenden ersten richtigen Berührung aufgegangen war. „Ich schlage vor, dass wir dieses eine Mal auf sein Spiel eingehen.“ Sie durfte nicht vor dem Bösen in Bonner zurückschrecken, ganz egal, wie sehr sie leben wollte und sich mit Zähnen und Klauen an jeden Extra-Tag klammerte, den sie diesem Leben ablisten konnte. Ihr Selbstschutz durfte nicht auf Kosten der verschwundenen Mädchen gehen, die im Dunkeln lagen. Keine von ihnen sollte vergessen werden. Keine einzige!
„Wenn wir es richtig anstellen“, sagte
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