Fesseln der Erinnerung
bringen, sich selbst mit einem Kissen zu ersticken oder so lange mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis Knochensplitter in sein Hirn drangen. Der Terror würde ihn den Verstand verlieren lassen.
Links von ihr klopfte jemand auf den Tisch.
Max. Die Erinnerung an das Geschenk, das sie erhalten hatte und das sie nicht wieder verlieren wollte, brachte sie in die Gegenwart zurück. Das Andere verschwand. „Die Gefängnisleitung hat uns informiert, dass Sie sich an einen Ort erinnern, der uns sehr interessieren könnte.“
Bonner zeigte seine Zähne in einem breiten Lächeln, das jeder Zahnpastareklame zur Ehre gereicht hätte. Aber seine Augen. Kalt wie bei einem Reptil. Sophia hatte schon zuvor solche Augen gesehen – bei den mächtigen Männern und Frauen im Medialnet, denen das Leben anderer nicht das Mindeste bedeutete.
Der Mann, der die Abschlussuntersuchung in ihrer Kindheit geleitet hatte – der die Entscheidung darüber zu fällen hatte, ob sie nützlich genug war, um gerettet zu werden, oder ob sie fallen gelassen werden sollte – hatte genau solche Augen gehabt wie der Schlächter der Park Avenue. „Nun, Mr Bonner?“, fragte sie, als er nichts sagte.
„Die Erinnerung scheint sich verflüchtigt zu haben.“ Er seufzte enttäuscht. „Es hatte irgendetwas mit Bäumen zu tun, aber … “ Ein weiteres Achselzucken. „Wenn Sie hierhergekommen wären und mir mit Ihren Fähigkeiten auf die Sprünge … “
„Anscheinend war selbst dieses Gespräch reine Zeitverschwendung.“ Sie schaute nach links und nickte. „Abbrechen.“
Bonners Gesichtsausdruck veränderte sich von einer Sekunde zur anderen, plötzlich zeigte sich die Bestie. „Ms Russo, Sie begreifen offenbar nicht – “ Dann war der Bildschirm schwarz.
„Ich könnte ihn mit bloßen Händen erwürgen“, sagte Max so ruhig, dass sich bei ihr alle Nackenhaare aufstellten. „Nicht um der Gerechtigkeit Genüge zu tun oder so etwas, ich will einfach bloß Rache. Ich will, dass er genauso leidet wie diese Frauen – diese jungen Mädchen – gelitten haben.“
„Wir alle tragen in uns die Fähigkeit zu töten“, sagte Sophia, sie hätte lieber schweigen sollen, konnte es aber nicht, denn sie musste wissen, was er über den Teil in ihr dachte, der nur tödliche Gerechtigkeit kannte. Wenn er sie dann ablehnte, war es besser, es jetzt gleich zu erfahren, da sie ihn erst einmal berührt hatte, ihn gerade erst kennenlernte … die Ablehnung vielleicht überlebte. „Nur verläuft die Grenze bei jedem woanders.“
Max’ durchdringender Blick traf den ihren. „Und deine umfasst Kinder. Manchmal auch Frauen, aber meistens nur Kinder.“
Sophia schluckte, wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, wie seine Antwort zu verstehen war.
Da zeigte sich auf dem Bildschirm wieder das Gesicht von Bartholomew Reuben. „Bronner ist stinksauer. Einen solch abstoßenden Ausdruck habe ich noch nie zuvor auf seinem Gesicht gesehen.“
„Nicht einmal vor Gericht?“, fragte Sophia, deren Verwirrung sich in Starre äußerte.
„Da war er kalt wie eine Hundeschnauze“, sagte Reuben. „Lächelte die Geschworenen sogar an, flirtete mit den Zuschauern. Wenn wir keine bombensicheren Beweise gehabt hätten, hätte er sich vielleicht mit seinem Charme der Verurteilung entzogen.“ Er schwieg kurz. „Seien Sie bitte vorsichtig, Ms Russo. Bonner steht zwar unter ständiger Beobachtung, aber er hat äußerst rabiate Fans. Wenn es ihm gelingt, auch nur einem von ihnen eine Botschaft zukommen zu lassen, sind Sie in Gefahr.“
„Keine Sorge, Mr Reuben.“ Sophia griff nach dem kleinen gefalteten Stück Papier, das ihr Max unter dem Tisch zusteckte. „Im Augenblick braucht er mich lebend. Er will mich mit seiner Brillanz beeindrucken.“ Aber danach …
Max spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog, als er an Sophias Gesichtsausdruck dachte, bevor sich Bart verabschiedet hatte. Er wusste genau, was seine schwierige und gefährliche J-Mediale für Gedanken hegte, und er wusste auch, dass er das niemals zulassen konnte. Aber im Augenblick waren sie so weit von Bonner entfernt, dass er sich um Sophias Tendenz, grausame Verbrecher auf kreative Art und Weise zu verletzen, nicht sofort kümmern musste.
Er wusste, es würde nicht leicht sein. Vor allem, da ihre Taten – und die Verbrechen derjenigen, die sie auf diese einer J-Medialen eigenen Weise bestraft hatte – auf eine Vergangenheit trafen, die von Schmerz und schweren Verletzungen geprägt war. Die
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