Fesseln der Gewalt 2 (German Edition)
dann die beiden sitzenließ, hat sich die Frau vor den Augen ihres Sohnes das Leben genommen. Servan kam ins Heim und musste weitere Übergriffe über sich ergehen lassen. Er … er hat es bis heute nicht überwunden und wollte mir antun, was Oliver ihm angetan hat. Doch irgendwie habe ich es geschafft zu ihm durchzudringen, weshalb er mich schlussendlich freigelassen hat.“
Eine ganze Weile herrschte Stille, bis meine Mutter endlich das Wort an mich richtete.
„Und jetzt gehst du davon aus, dass Servan deinen Vater hat?“
„Er hat mich hier eingeliefert. Die Möglichkeit besteht, dass er beobachtet hat, was Oliver mit mir gemacht hat. Ich … war kurz zuvor mit ihm … zusammen.“
„Du willst also deinen Vater davor bewahren, dass dieser Servan ihm eine wohlverdiente Abreibung verpasst? Habe ich das richtig verstanden?“
„Nein. Ich will nicht Oliver retten, sondern … Servan. Ich weiß nicht, ob er fähig ist zur rechten Zeit aufzuhören. Ich … will nicht, dass er seine Seele noch mit einem Mord belastet.“
Erneut herrschte Schweigen, während meine Mutter mich eindringlich anblickte.
„Er bedeutet dir etwas, dieser Servan, nicht wahr?“
„Ich weiß nicht recht. Es sind widersprüchliche Gefühle. Ein Teil von mir leidet immer noch unter den Misshandlungen, aber … der andere Teil … Ja, ich … Mutter, er hat eine verletzte Seele, die dringend Hilfe braucht und … er hat mich irgendwie tief berührt, denn der andere Teil in mir möchte ihn einfach nur in den Arm nehmen und ihm zeigen, was es mit der Liebe, die er nie kennenlernen durfte, auf sich hat.“
„In Ordnung, Vinzent“, sagte meine Mutter plötzlich und läutete nach dem Pflegepersonal.
Schnell hatte sie alles organisiert, sodass ich auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen konnte. Mir war zwar immer noch schwindlig, doch mit Mutters Hilfe saß ich bald in ihrem Auto, sodass ich ihr den direkten Weg zu Servans Zuhause weisen konnte.
Vor dem Haus stand ein Van und die Haustür war wider Erwarten nicht verschlossen. Umgehend stiegen wir in den Keller hinab, wo ich Oliver vermutete.
Der Anblick, der sich uns bot, ließ mich, genauso wie meine Mutter, vor Schreck erstarren. Nur mit Mühe konnte ich sie stützen, als sie beinahe die letzten Stufen hinunterfiel.
Servan hatte sich mit einer schmerz- und wutverzerrten Miene zu uns umgedreht und drückte mit einer Hand Olivers Kehle zu, während die andere den Elektroschocker an dessen Hals ansetzte.
„Nicht, Servan!“, rief ich aus und ließ meine Mutter auf die Stufen gleiten, um mich ihm zu nähern.
Mit ausgestreckter Hand versuchte ich ihn zu erreichen, hielt jedoch in meiner Bewegung inne. Der Ausdruck in Servans Augen erinnerte mehr an ein wildgewordenes Tier, als an einen Menschen.
„Lass ihn los. Er ist es nicht wert“, versuchte ich ruhig zu ihm durchzudringen, konnte aber ein Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.
„Ich will dieses Schwein tot sehen. Er … er hätte dich nicht anrühren dürfen.“
„Servan, sieh mich an. Es geht mir gut. Das sind nur blaue Flecken, sie werden wieder verschwinden.“
Einen Moment schien Servan zu überlegen, doch plötzlich schrie er: „Nein! Er soll dafür büßen. Für alles!“
Verzweifelt musste ich mit ansehen, wie er sich erneut zu seinem Opfer wandte. Ich schaffte es einfach nicht, Servan zu erreichen. Er würde ihn töten und sich selbst damit den Rest seines Lebens verbauen. Ich hörte ein Aufschluchzen und stellte gleichzeitig fest, dass es aus meiner eigenen Kehle hervorgekrochen war.
Einer Eingebung folgend überwand ich die letzte Distanz zu Servan und umschlang ihn von hinten mit meinen Armen.
„Tu es nicht. Du nimmst uns damit die Chance auf ein gemeinsames Leben.“
Die Worte hatte ich ohne nachzudenken ausgesprochen, doch sie fühlten sich absolut richtig an. Ich wollte Servan tatsächlich näher kennenlernen und das nicht nur in sexueller Hinsicht. Ein unbegreifliches, inneres Bedürfnis, diesem verstörten Mann Liebe zu zeigen und diese mit ihm zu erleben, machte sich in mir breit.
Unter meinen Händen konnte ich spüren, wie sich Servan langsam entspannte und Oliver zu Boden gleiten ließ, wo dieser sich stöhnend zusammenrollte. Als er sich umdrehte, schwammen Tränen in seinen Augen, während er vorsichtig mein geschundenes Gesicht mit seinen Fingern berührte.
„Eine Chance? Die hatte ich nie, es ist zu spät.“
„Nicht, wenn du das hier jetzt beendest und bereit bist, dein
Weitere Kostenlose Bücher