Fesseln der Leidenschaft
sie sich über den Verwundeten beugte. Ihr Gesicht war erneut totenblaß, aber sie ließ sich nicht gehen. Vorsichtig entfernte sie die Behelfsbandage von Walters Kopf.
»Lassen Sie das«, sagte Reina entschieden. »Dort hat die Blutung aufgehört, aber an der Seite muß sie gestillt werden.«
»Wird er … sterben, meine Lady?«
»Warum sollte er so etwas Dummes machen?« meinte Reina, doch ehe sie die Wunden gesehen hatte, konnte sie keine klare Prognose abgeben.
Die schwierigste Aufgabe bestand darin, Walters schwere Rüstung zu entfernen, so daß die Wunden freigelegt werden konnten. Zwei Männer bemühten sich, das mit möglichst wenig Erschütterungen zu bewerkstelligen. Der Rest seiner Kleidung war schnell weggeschnitten, und nun zeigte sich das Ausmaß seines Blutverlustes.
»Zu lange«, hatte Eric gesagt, und er hatte nicht übertrieben. Walters ganze rechte Seite war bis zu den Stiefeln in Blut getaucht, die Wunde ausgefranst und immer noch blutend. Die Waffe – was immer das gewesen sein mochte – hatte die Rüstung über der untersten Rippe durchbohrt, doch anstatt tödlich zu treffen, war sie abgelenkt worden und hatte unter der Rüstung eine lange Fleischwunde verursacht. Der Schnitt war tief, aber er schien nicht allzu kritisch zu sein. Die Gefahr lag nun darin, ob Walter zuviel Blut verloren hatte und daher zu schwach sein würde, eine eventuelle Infektion zu überstehen.
Reina handelte schnell. Sie reinigte die Wunde und trug eine blutstillende Salbe auf. Das Nähen überließ sie Florette, während sie sich um die Kopfverletzung kümmerte. Die Haut war hier nur geringfügig aufgerissen, doch darunter lag eine dicke Beule. Ein Helm hätte das verhindern können. Nachdem Walter nun tagelang sehr quälende Kopfschmerzen haben würde, stand zu vermuten, daß er Clydon nicht mehr ohne Helm verlassen würde.
Walter wachte kein einziges Mal auf, und das war günstig, nachdem die Wunde mit vielen Stichen genäht werden mußte. Aber Reina hatte Schwierigkeiten, ihm das Stärkungsmittel einzuflößen, das sie zubereitet hatte. Sie betraute Florette mit der Aufgabe und ging zu dem jüngeren Ritter hinüber.
Searles markerschütternde Klagen, die bei Hilarys Behandlung noch lauter geworden waren, drangen bis in den nächsten Raum hinüber. Momentan verringerten sie sich, da Hilary beinahe mit dem Jungen fertig war.
Jedoch als er Reina sah, hob er die Stimme wieder. »Sie sind grausam, Lady, mir so eine Hexe auf den Hals zu schicken.«
»Diese Hexe hat sanftere Hände als ich, Sir, also seien Sie dankbar, daß ich mit Sir Walter zu beschäftigt war, um mich selbst um Sie zu kümmern.«
Das brachte ihn zum Schweigen und entlockte der stämmigen Dame ein leises Lachen. »Haben Sie je gehört, daß ein Junge wegen eines kleinen Stiches so viel Geschrei veranstaltet hat?«
»Klein?« würgte Searle hervor.
»Nur drei Stiche, meine Lady«, erklärte Hilary.
»So wenig? Sir Walter hatte beinahe zwanzig. Haben Sie ihn um Gnade betteln hören?« Nun grinste Reina, denn sie hatte Mitleid mit dem errötenden jungen Mann. »Nein, Searle, wir necken Sie nur. Schreien vermindert oft den Schmerz. Sie hätten meinen Vater hören sollen, wenn er sich im Übungshof nur einen Splitter zuzog. Wir mußten uns die Ohren zustopfen, ehe wir den Holzspan entfernen konnten.«
»Ist Walter … wird er … «
»Sie brauchen sich keine Sorgen um ihn zu machen. Er ist noch bewußtlos, aber momentan ist das gut. Seine Wunden waren nicht so schlimm, wie sie aussahen, aber sie werden sehr schmerzhaft sein, wenn er aufsteht. Jetzt trinken Sie das!« Sie reichte ihm einen Sud aus weißem Mohn, der mit warmem Wein gemischt war. »Es wird Ihre Schmerzen mildern und Sie einschlafen lassen, was momentan wichtig für Sie ist.«
»Aber Ranulf … «
»Eric kann alle seine Fragen beantworten.«
In diesem Augenblick wurde die Tür zum Nebenzimmer aufgestoßen, und Searle schluckte seinen Trank schnell hinunter. »Wie rasch wird das wirken?«
Reina sah ihn verwundert an. »Was ist los mit Ihnen?«
»Er wird wütend sein. Ich möchte am liebsten gleich schlafen.«
»Aber warum soll er böse sein, wenn Sie drei nichts verkehrt gemacht haben? Haben Sie einen Fehler begangen?«
»Bei uns hat es einen Toten und zwei Verwundete gegeben. Die anderen waren nur fünfzehn Männer. Wir hätten die Gegner besser abfertigen müssen, Lady.«
»Wie viele sind mit Ihnen geritten?«
»Sechs.«
Reina sah ihn empört an. »Schlafen Sie,
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