Fesseln der Leidenschaft
sollen, ehe du deiner üblichen kindischen Unbesonnenheit freien Lauf ließest.«
Er wandte sich von ihr ab und ging in die Mitte des Hofes. Ranulf nickte Eric zu, er solle die Lady, wenn nötig, zurückhalten, und begab sich zu dem jungen Ritter. Eine kurze Pause entstand, während der Sir Williams Knappe dessen Helm holte, damit die beiden Kämpfer gleich ausgestattet waren. Dann zog Ranulf das Schwert und griff an.
Er hegte die starke Hoffnung, endlich einmal einen würdigen Gegner zu haben, und William Lionel hielt sich anfangs gut. Seine Bewegungen waren schnell, ebenso seine Reaktionen, und seine Klinge sowie sein Schild wehrten jeden Hieb ab. Das war jedoch alles, was er tun konnte. Wie gewöhnlich, ließ Ranulfs Taktik keine Gegenangriffe zu. Seine kraftvollen Schläge folgten pausenlos aufeinander, bis Lionel aus reiner Erschöpfung auf die Knie sank und seinen Schild nicht mehr hochheben konnte.
Er beugte den Kopf, um den tödlichen Stoß zu empfangen, und sein Schwächezustand war so groß, daß ihn sein Geschick nicht übermäßig bekümmerte. Er hörte, wie Ranulf das Schwert in die Scheide steckte, und blickte überrascht hoch. Der Riese grinste, und sein Atem ging kaum rascher. William schüttelte verwirrt und wehmütig den Kopf.
»Es ehrt Sie nicht, diesen Sieg auszukosten, nachdem es um das Schicksal der Lady ging.«
Ranulf lächelte über das Mißverständnis. »Das Schicksal der Lady war besiegelt, auch ohne Ihren Kampf.«
»Warum nahmen Sie dann meine Herausforderung an?«
»Ich brauche Übung. Da mein Partner dank des Verrates der Lady ans Bett gefesselt ist, wird es lange dauern, bis mir ein ebenbürtiger Gegner über den Weg läuft. Aber Sie fragen nicht nach der Strafe für die Lady. Lieben Sie sie so wenig?«
»Ich liebe sie überhaupt nicht. Sie mag ja schön sein, aber sie ist ein verzogenes, eingebildetes Kind und viel zu eigenwillig für meinen Geschmack.«
»Wußten Sie, daß Louise Sie haben wollte?«
»Ja, aber ich habe sie nie ermutigt – im Gegenteil. Ich tat alles, um ihr zu zeigen, daß ich kein Interesse hatte, meine Bitte, aus ihren Diensten entlassen zu werden, inbegriffen. Sie wollte mir nicht glauben.«
»Warum haben Sie dann für sie gekämpft?«
»Ich sehe in ihr eine verwöhnte kleine Hexe, die außerdem extrem dumm ist, aber ich stehe noch in ihren Diensten, bis sie mich entläßt.«
Ranulf mußte sich bei dem Groll, der in diesen Worten steckte, ein Lachen verbeißen. »Sehr lobenswert. Einen Mann mit diesen Ansichten kann ich in meinen eigenen Diensten gebrauchen, falls Sie interessiert sind. Aber was das Schicksal der Lady betrifft, brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Ich werde sie mit meinem eigenen Gefolgsmann verheiraten, der dafür sorgen wird, daß sie kein Unheil mehr anrichten kann. Das wird ihr nicht gefallen, aber sie muß Treue ihrem Oberherrn gegenüber lernen, auch wenn ihr Leib bei der Lehre leidet.«
»Diese Lektion hätte sie schon längst bekommen sollen«, schnaubte William, völlig einverstanden.
Ranulf wandte sich ab und warf seinen Helm Kenric zu. Sein Blick fiel zufällig auf die Witwe, die zu weit entfernt war, als daß sie hätte hören können, was über sie geredet wurde. Sie war blaß, verängstigt und zitterte erheblich, nachdem es ihrem Ritter nicht gelungen war, sie durch den Kampf zu entlasten. Als Ranulf sich ihr näherte, um ihr seinen Entschluß mitzuteilen, beobachtete er, wie sie sich veränderte. Ihr Gesichtsausdruck wurde sanft, ihr Körper entspannte sich, ihre Augen glänzten sinnlich und bewundernd, und er hörte förmlich, wie sich die Räder in ihrem Gehirn drehten. Diesen Blick hatte er zu oft erlebt, um ihn falsch zu deuten – es war der Blick einer Frau, die einen Mann verführen wollte, um zu bekommen, was sie sich wünschte.
»Verschwenden Sie Ihre Mühe nicht, Lady«, sagte er mürrisch und kehrte wieder um.
Sie mochte warten, bis Searle sich so weit erholt hatte, daß er herkommen und ihr persönlich sagen konnte, wie sich ihre Zukunft gestalten würde. In der Zwischenzeit sollte sie als Gefangene in Ungewißheit schmoren, was viel weniger war, als sie verdiente – bei den Menschenleben, die ihre Tat gekostet hatte. Wenn ihre Hinterhältigkeit nicht zu weiteren Entdeckungen geführt hätte, wäre Ranulf nicht so nachsichtig ihr gegenüber gewesen.
35
»Er kommt, meine Lady.«
Mehr brauchte Reina nicht zu hören. Sie lief aus ihrem Zimmer, die Treppen hinunter, quer durch die Halle, noch
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