Fesseln der Leidenschaft
bedient worden sind?«
»Ich dachte, Sie kämen herunter!«
»Ich war gar nicht oben. Es gab Verwundete, um die ich mich sofort bemühen mußte, und … ach, es ist egal. Aubert, du machst mich so wütend – wenn ich dich eine Woche nicht mehr sehe, dann ist das zu wenig. Tu etwas – zieh mich die Treppen hoch! Ich bin todmüde, und dank deiner Unaufmerksamkeit kann ich mich nicht einmal in mein Zimmer schleichen, wie ich es beabsichtigte. Theo, steh nicht grinsend da wie ein Idiot. Hilf mir!«
»Sie müssen zugeben, Herrin, daß wir Sie nicht oft so griesgrämig erleben.« Theo lachte in sich hinein, während er an ihrem einen Arm zog und Aubert am anderen, um die letzten wenigen Stufen zu überwinden. »Es ist höchst neu und lehrreich. Kommen Sie jetzt zurecht?« fragte er auf dem obersten Treppenabsatz.
»Ja, und dich werde ich in die Küche verbannen, wenn du mich weiterhin auslachst. Du gehst wieder einmal zu weit, wie schon öfter. Momentan bin ich nicht in der Stimmung für Scherze. Wo, zum Teufel, ist das ganze Volk hingekommen?«
Sie überblickte die Halle, die leer war, bis auf die Männer neben dem Kamin am entgegengesetzten Ende des Raumes.
»Ich sagte Ihnen doch, daß er zum Fürchten ist«, meinte Aubert ungehalten.
»Du hast das Wort ›monströs‹ benützt. Soll das heißen: Dieser Lord hat die Leute so erschreckt, daß sie davongelaufen sind und sich versteckt haben?«
»Ich konnte es nicht sehen, weil ich selbst schnellstens weggerannt bin, aber es ist klug von ihnen, sich zu verkriechen. Er ist nicht normal, Lady Reina – beeilen Sie sich!«
»Habe ich Grund, mich zu ängstigen?« fragte sie nun ganz ernst.
»Nein, er will sich nur davon überzeugen, daß es Ihnen gutgeht. Mir mochte er nicht glauben. Offenbar hegt er irgendeinen Verdacht, weil Sie bisher nicht erschienen sind.«
»Gut, lauf voraus und kündige mich an. Ich vermag mich nicht rascher zu bewegen, Aubert, nicht einmal, um meine Seele zu retten – nicht mit dieser Rüstung am Körper, die inzwischen so viel wiegt wie ein Pferd.«
»Bitte, meine Lady … Er wird mir den Hals umdrehen, bevor ich einen Ton sagen kann, wenn Sie nicht mitkommen. Lassen Sie uns zusammen gehen.«
Sie seufzte und war einverstanden. Voller Verachtung bemerkte sie, daß ihre beiden ›Beschützer‹ rechts und links je einen Schritt hinter ihr blieben. In Begleitung ihrer Damen hätte sie sich sicherer gefühlt, obwohl die meisten von ihnen noch Kinder waren.
Mit hängenden Schultern, einem vor Erschöpfung schmerzenden Kopf und wie gerädertem Körper präsentierte sich Reina ihrem ›Befreier‹. Sie wollte gerade einen Knicks machen, obwohl sie nicht wußte, wie sie sich danach wieder erheben sollte, da spürte sie, daß sie in die Luft gehoben wurde.
»Ich habe von den Entschuldigungen, Verzögerungen und Ausweichmanövern endgültig genug. Wenn du mir nicht sofort sagst, wo sich die Herrin dieses Schlosses aufhält, bist du ein toter Mann.«
Reinas Mund öffnete sich, doch kein Laut kam heraus. Die Worte blieben ihr im Halse stecken. Der Mensch hielt sie in die Höhe. Seine Faust packte ihr gepanzertes Gewand direkt über ihrer Brust. Diese eine Faust hob sie und ihre verfluchte Ritterrüstung beinahe einen halben Meter über den Boden, so daß Reina dem Mann direkt ins Gesicht sah. Ein kurzer Blick nach unten verriet ihr, daß kein Podest für die ungeheuerliche Größe dieses Typen verantwortlich war. Monströs, hatte Aubert gesagt. Himmel, das war ein Riese, so breit wie hoch – nun, das stimmte nicht ganz – aber seine Schultern und seine Brust hatten unglaubliche Ausmaße. In Reinas gegenwärtiger Position war das besonders deutlich zu sehen. Es handelte sich hier nicht um ein hohes Schilfrohr, sondern um einen Bären – mit dem Brummen eines Bären.
Reina war nicht die einzige, die sich in einem vorübergehenden Schockzustand befand. Theodric und Aubert waren ebenfalls sprachlos, daß dieser Riese es wagte, so mit der Lady umzugehen und zu reden – und nicht nur das. Er schüttelte sie auch noch! Er schüttelte sie tatsächlich, als sie ihm nicht schnell genug antwortete.
Aubert kam als erster wieder zu Verstand, doch er verlor ihn gleich wieder bei dem Gedanken, er allein könne etwas tun. Anstatt den Riesen auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen, wählte der dumme Junge diesen Moment, um endlich Mut zu beweisen. Er sprang dem Riesen in den Rücken, wurde aber gleich wie ein lästiges Eichhörnchen abgestreift. Der einzige
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