Fesseln der Leidenschaft
die junge Frau erreicht und hob sie in seine Arme. Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog, ignorierte es aber und ging auf die Treppe zu.
»Sie Sollten keine Rüstung tragen, wenn Sie ihr Gewicht nicht aushalten können«, sagte er nur.
Das wußte Reina wohl, doch sie schwieg aus Angst vor seinen Absichten. Diese Angst verflog jedoch nach den wenigen Sekunden, die Ranulf brauchte, um die Treppenflucht hochzusteigen, die im östlichen Eckturm immerhin über die ganze Höhe der großen Halle bis in die dritte Etage führte. Oben setzte Ranulf die junge Frau ab, nickte kurz und ging sofort zurück.
Wie galant, dachte sie, dann verschwendete sie keinen Gedanken mehr an den Riesen. Sie stand vor der Tür zu den Zimmern des Lords, daneben führte die Treppe weiter hinauf zu den Zinnen auf dem Dach. Reina wanderte langsam den schmalen Korridor entlang, der in die dicke Außenmauer eingelassen war und von mehreren Schießscharten erhellt wurde. Sie kam am Frauentrakt vorbei, der die meisten ihrer Damen beherbergte. Davor lagen der Web-und Nähraum und die Schlafstätte der Zimmermädchen. Schließlich erreichte Reina ihr eigenes kleines Refugium im Nordturm. Sie hätte längst in die weitläufige Wohnung des Lords übersiedeln können, aber ihr Kummer hielt sie davon ab. Es war noch früh genug, als verheiratete Frau dort einzuziehen.
Sie lehnte sich mit einem tiefen Seufzer gegen die Tür, zu müde, um die wenigen Schritte bis zu ihrem Bett zu gehen. Ihr graute vor dem Rest des Tages, vor der Verpflichtung, die Gäste zu unterhalten und deren Fragen zu beantworten, wie sie es versprochen hatte. Es war so schwierig für Reina, mit Besuchern zu reden und nie zu wissen, wieviel sie über ihre gegenwärtige Situation verraten durfte und wie oft sie lügen mußte. Das Lügen war das Schlimmste, und ihr Vater hatte damit begonnen, in der Annahme, das Richtige für Reina zu tun.
Wenn nur Lord Raymond nicht gestorben wäre, dann hätte sie geheiratet, ehe ihr Vater vor zwei Jahren König Richard auf seinem Kreuzzug folgte. Reina war schon als
Dreijährige mit Raymond verlobt worden und hatte dieser Verbindung nie widersprochen, obwohl sie Raymond kaum kannte und ihn in ihrem ganzen Leben nur ein halbes dutzendmal gesehen hatte. Doch als die Zeit ihrer Hochzeit herannahte, war er an Henrys Hof zu großer Beliebtheit gelangt, und der alte König hatte ihn ständig mit irgendwelchen Aufgaben betraut. Raymond schien niemals Zeit zu haben, sich um seine Braut zu kümmern. Und dann hatte sie die Nachricht erhalten, Raymond sei bei einer Durchquerung des Kanals umgekommen. Er war ertrunken bei dem Versuch, ein Kind zu retten, das über Bord gefallen war.
Reina hatte die Botschaft mit Trauer vernommen; der Mann war ihr jedoch zu fremd gewesen, als daß sie echtes Leid hätte empfinden können. Aber sein Tod hatte sie in eine heikle Lage gebracht, da ihr Vater schon den Eid geleistet hatte, mit Lord Guy, seinem Oberherrn, und dem neuen König Richard Löwenherz am Kreuzzug teilzunehmen. Da saß sie nun in der Klemme, fünfzehnjährig und unverheiratet, und Roger de Champeney war im Begriff, ins Heilige Land aufzubrechen. Es reichte die Zeit nicht mehr, einen neuen Ehemann für sie zu finden.
Also hatte ihr Vater ihr vorgeschlagen, daß sie selbst ihre Wahl treffen und ihn schriftlich um seine Einwilligung bitten solle, und das hatte sie getan. Doch ihr erstes Schreiben hatte ihn nicht erreicht. Sie hatte zuerst von ihm gehört – einen Bericht über die Eroberung Cyperns und die dort erfolgte Trauung des Königs mit Berengaria von Navarra. Der König hatte vier seiner Vasallen auf die Insel mitgenommen und dort einen der Männer durch das Fieber verloren.
Mit dem Brief war eine Fuhre voller Beutestücke angekommen, aber Reina hatte trotz ihres Geldmangels davor gescheut, die Dinge zu verkaufen. Sie stammten vom Kreuzzug, und das machte sie beinahe heilig.
Reinas zweiter Brief hatte den Vater noch auf Cypern erreicht, denn der König war lange Zeit dort geblieben, und der Vater hatte zwei der von Reina genannten Männer für gut befunden: John de Lascelles, der zu seinen Gefolgsleuten gehörte, bis Johns Bruder starb und der junge Mann die Ländereien der Familie in Wales erbte; und Richard de Arcourt, den Erben von Lyonsford, der die Burg und die Stadt Warhurst bereits besaß, die nur ein paar Reitstunden von Clydon entfernt lagen. Beide Männer kannte Reina gut und mochte sie; von beiden nahm sie an, sich in einer Ehe mit
Weitere Kostenlose Bücher