Fesseln der Leidenschaft
ihnen wohl zu fühlen. Beide waren jung und nett anzusehen. Richard besaß einen feinen Humor und brachte Reina zum Lachen, John war gütig und freundlich. Sie würde mit jedem der beiden glücklich sein, doch ihre Vorliebe galt Richard.
Ihr Vater starb bei der Belagerung von Acre, einen Monat nach seinem letzten Schreiben, und er erfuhr nie von Reinas Vorliebe. Im Brief des Grafen, der Reina über den Tod ihres Vaters informierte, stand, daß Roger die Verlobung seiner Tochter, nicht aber den Namen des Bräutigams, erwähnt habe. ›Ich zweifle nicht daran, daß ich denjenigen, den Roger für Sie auswählte, akzeptieren kann, und daß er mir huldigen wird. Roger liebte mich zu sehr – wie auch ich ihn liebte –, als daß er einen meiner Feinde für Clydon bestimmt hätte. Also gebe ich Ihnen hiermit meine Erlaubnis und meinen Segen für Ihre Heirat.‹ Der Graf fuhr fort, er wünsche eine Hochzeit innerhalb weniger Monate, zu Reinas eigener Sicherheit, und Informationen über die Einzelheiten.
Reina war verwirrt gewesen, bis ihr klarwurde, was ihr Vater getan hatte. Er hatte seinen Freund und Oberherrn angelogen, um Reina die Möglichkeit zu verschaffen, selbst einen der beiden Heiratskandidaten auszusuchen. Andernfalls hätte Lord Guy, der nach ihres Vaters Tod ihr Vormund wurde, das Recht gehabt, einen Mann für sie zu wählen oder sogar die Vormundschaft zu verkaufen. Das hätte für sie bedeutet, unverheiratet zu bleiben, obwohl ein solches Vorgehen seinerseits nicht zu erwarten war. Er war immer gütig zu ihr gewesen und hatte sie um ihres Vaters willen gern gehabt, doch oft wurden derlei menschliche Beziehungen beiseite gefegt, wenn es um eine wünschenswerte oder vorteilhafte eheliche Verbindung ging. Und ohne seine Erlaubnis und seine Anerkennung des Mannes, den sie heiratete, konnte sie ihr Erbe verlieren.
Also hatte sie Richard geschrieben und ihn gebeten, nach Clydon zu kommen. Sie hatte keinen Grund angegeben, da sie Richard keinen schriftlichen Heiratsantrag machen wollte, doch sie hatte die Dringlichkeit ihres Anliegens erwähnt. Es war schwierig gewesen, ihn ausfindig zu machen, und nachdem er innerhalb eines Monats nichts von sich hören ließ, hatte sie auch an John geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereit gewesen, jeden der beiden Männer zu nehmen, zumal der Kastellan des Grafen sie wegen des Heiratstermins drängte. Nach diesem Morgen und Falkes de Rocheforts Versuch, sie zu entführen, wurde die Dringlichkeit noch viel deutlicher. Reina hatte Glück, daß er in all den Monaten der einzige gewesen war, der sie überfallen hatte.
Reina wollte sich gerade von der Tür abstoßen, als diese mit einem heftigen Schwung geöffnet wurde. Ein Ruf bremste Theodric, sonst wäre Reina zu Boden gestürzt.
»Reina, Sie hätten diese Hure Eadwina sehen sollen, wie sie um ihn herumschwänzelte«, sagte Theo angewidert. »Und die Dame Hilary wird sie anweisen, ihn zu baden, wenn Sie nichts anderes bestimmen. Bitte, Reina, lassen Sie mich für ihn sorgen! Eadwina bekommt immer … «
»Für wen sorgen?«
Er seufzte dramatisch. »Für den goldenen Riesen – wen sonst?«
Reina seufzte normal. »Natürlich, für wen sonst?
Geh!« Sie machte eine lässige Handbewegung. »Was kümmert es mich?« Dann fügte sie hinzu: »Warte! Nimm mir zuerst das Teufelsgewicht ab.«
Er gehorchte, doch er zog sie so flink aus wie nie zuvor. Sie lachte beinahe über seine Ungeduld. Und er hatte Eadwina eine Hure genannt?
Als sie nur mehr ihre Unterwäsche anhatte, fiel sie erschöpft auf das Bett. »Hast du wenigstens an mein Badewasser gedacht?«
»Selbstverständlich«, erwiderte er entrüstet und warf ihre Rüstung in die Ecke.
»Dann schick mir Wenda. Und, Theo … « Sie stützte sich auf die Ellenbogen und meinte: »Wenn dein ›goldener Riese‹ kein Interesse hat, geh ihm schnellstens aus dem Weg.«
Der Junge nickte, grinste und verschwand.
6
Lord Rothwell verdiente nicht soviel Glück – ein Mann, der seine ausgedehnten Ländereien durch die Ehe mit fünf reichen Frauen erlangt hatte. Und nun war er dabei, seinen ungeheuren Reichtum durch Clydon zu vermehren.
Ranulf wußte nicht, ob noch andere Lebensgüter oder Pachten inbegriffen waren, doch Clydon allein war in jeder Hinsicht ein prächtiger Besitz. Auf seinem Weg zum Schloß hatte er die zahlreichen Getreidefelder gesehen, das große Dorf, in dem mindestens zweihundert Zinsbauern lebten, mit solide gebauten Hütten aus schweren, dauerhaften
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