Fesseln der Leidenschaft
Holzbalken, einem Fluß im Hintergrund und mächtigen, alten Eichen. In der Ferne rauschte eine Wassermühle, daneben lag ein Herrschaftshaus, und ringsum dehnten sich endlose Wälder, in denen er und seine Männer gestern kampiert und heute morgen die Vorratskarren und Nachhut zurückgelassen hatten.
Am eindrucksvollsten war jedoch das Schloß selbst. Nicht einmal Lord Montforts Landgut war so riesig – und das von Ranulfs Vater ebenfalls nicht. Der Außenhof umfaßte mehrere Morgen und wurde von einer dicken Mauer geschützt, aus der in regelmäßigen Abständen viele Türme ragten. Zahlreiche Gebäude befanden sich innerhalb des Walls: ein großer Stall, eine strohgedeckte Scheune mit Verschlägen für die Tiere an jeder Seite, eine Schmiede, ein Brauhaus und verschiedene Lagerhäuser. Im linken Feld lag ein Fischteich, daneben sah man einen Taubenschlag, doch das ganze rechte Feld bot sich als Übungsplatz an.
Im inneren Hof befanden sich mehrere kleinere Stallungen und Lagerhäuser. Hier waren auch die Küche und ein Garten mit Bienenstöcken untergebracht, obwohl später eine neuere Küche im Wohntrakt errichtet worden war – in moderner Bauweise und zu dem Zweck, das Essen einigermaßen warm auf den Tisch zu bekommen.
Die weißgetünchte Burg selbst mit ihren extrem dicken Mauern erreichte eine Höhe von mindestens dreißig Metern, die Ecktürme noch weitere fünf Meter mehr. Der Wohntrakt wurde durch eine Querwand geteilt, die seine ungeheure Höhe stützte, denn er hatte über dem Erdgeschoß immerhin drei Stockwerke aufzuweisen. Hier fanden sich die Unterkünfte der Besatzung, dann die neue Küche und die obere Brunneneinfassung in der zweiten Etage sowie die große Halle in der dritten. Man betrat den Wohntrakt durch einen Vorbau, eine beträchtliche Ausdehnung der linken Schloßseite. Auch dieser reichte drei Stockwerke hoch. Die äußeren Treppen, die bis zur obersten Etage und in die seitlich der großen Halle gelegene Kapelle führten, wurden abschließend von einer Zugbrücke gesichert.
Ranulf hatte einen beträchtlichen Teil der Anlage mit eigenen Augen gesehen. Der Knappe Aubert hatte wortreich mit zusätzlichen Einzelheiten aufgewartet, während er die Fremden in die große Halle geleitet hatte. Und der Diener, den die Lady Theo genannt hatte, erwies sich ebenfalls als Informationsquelle. Er beantwortete jede Frage, die Ranulf ihm stellte. Nur aus diesem Grund akzeptierte Ranulf die angebotenen Dienste des Jungen als Badehelfer, nachdem er Lanzo weggeschickt hatte, seine blutverschmierte Rüstung und das Schwert zu reinigen.
Gewöhnlich halfen Dienerinnen einem Gast beim Baden, und wenn der Gast wichtig genug war, tat es die Hausherrin persönlich, das heißt, die Ehefrau des Lords, selten seine Tochter. Ranulf war niemals als wichtig genug angesehen worden, um die Hausherrin als Badehilfe in Anspruch nehmen zu können, und dafür war er dankbar. Doch die Auslese der Dirnen hatte sich immer um die Ehre gerissen, ihm zu Diensten sein zu dürfen, und er konnte sich an manche vergnügliche Stunde erinnern, die er nicht nur mit Baden zugebracht hatte.
Eigentlich hatte er das sinnliche, blonde Weib aus der Halle erwartet, als er in sein Turmzimmer geführt worden war. Doch statt dessen war der Junge in Begleitung der Diener erschienen, die eine große Wanne, Krüge mit heißem Wasser und ein Tablett hereintrugen. Wein, Käse und Brot sollten wohl den ärgsten Hunger stillen, bis das Nachmittagsmahl serviert wurde. Sogar für Kleidung zum Wechseln war gesorgt. Daran war Ranulf nicht gewöhnt, hauptsächlich wegen seiner Größe, und dann – wiederum – weil er kein einflußreicher Mann war. Er nahm an, daß die Lady von Clydon ihn für wichtig hielt, nicht nur, weil er gesagt hatte, er käme von ihrem Lord – es war ihm klar, daß sie nicht Lord Rothwell meinte –, sondern weil er sie und Clydon vor ihren Feinden gerettet hatte, wer auch immer diese Feinde gewesen waren.
Daß er für sein Bad keine Hure zugeteilt bekommen hatte, machte ihm nichts aus. Nach der Befriedigung der letzten Nacht brauchte er keine Frau. Doch Theos Gegenwart befremdete ihn ein wenig. Der halbwüchsige Bursche war sehr schlank und besaß eine langsame Anmut der Bewegungen, die beinahe weiblich wirkte und vermutlich mit den Jahren vergehen würde. Dunkelblonde Locken ringelten sich um seine Ohren und den schmalen Nacken, und die braunen Augen blickten zu keck und vorwitzig für einen Sklaven. Doch der Junge war
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