Fesseln der Leidenschaft
brannte darauf, die Antwort zu erfahren, doch das würde warten müssen.
Er hatte beschlossen, die Lady nicht hier zu fragen, wo er sein Temperament zügeln mußte. Mit ihrem bestimmenden Wesen verärgerte sie ihn zu leicht, und je weniger er mit ihr reden mußte, um so besser! Wenn er sie von Clydon weggeschleppt haben würde, wäre immer noch Zeit, Antworten zu verlangen. Dann würde sie sich nicht mehr so hoheitsvoll gebärden.
So überließ er es Walters Talent, das Tischgespräch witzig und amüsant zu führen, wenn es auch manchmal auf Ranulfs Kosten ging. Wenigstens belustigte Walter Lady Reina und lenkte sie ab, so daß Ranulf ihren forschenden Blick nur ein-oder zweimal ertragen mußte. Und nach dem Essen konnte er sich gleich mit der Entschuldigung zurückziehen, die meisten seiner Leute fortschicken zu wollen. Das kam Lady Reinas Wünschen entgegen, denn seine überlegene Streitmacht gab ihr offenbar zu denken, was ihm durchaus in den Kram paßte. Er zog jedoch nicht in Erwägung, die Schloßherrin aufgrund seiner Übermacht einfach gefangenzunehmen. Das hätte nur ein unnötiges Abschlachten ihrer Leute zur Folge gehabt, was durch eine heimliche Entführung vermieden werden konnte.
9
»Was hast du herausgefunden, Walter?«
»Daß ihr Zimmer im Nordturm liegt. Es kann aber nur über diese Treppe im Ostturm erreicht werden, die du heute morgen mit ihr hinaufgestiegen bist.«
Ranulf wandte sich von dem schmalen Fensterschlitz ab, durch den er das Treiben im Innenhof beobachtet hatte. »Ja, ich erinnere mich an einen langen Korridor, der direkt durch die Mauer läuft, wie in der Galerie über der Halle. Hat dein Kundschafter erwähnt, was sich noch dort oben befindet?«
»Das Zimmer des Lords und die Frauenabteilung, wo ihre Damen und deren Dienstmädchen schlafen.«
»Dann wird alles glattgehen, und kein Lärm wird die Frauen stören. Ist das unser Vorratskarren, den ich vor einem der Lagerhäuser gesehen habe?«
»Ja«, erwiderte Searle nun.
»Gemäß Ihrem Befehl brachte Eric Rothwells Männer zum Lager zurück und schickte einen mit dem Karren hierher. Das Getreide, das Walter eingekauft hat, wurde bereits in den Karren verladen.«
»Ich hoffe, es ist noch Platz übrig.«
»Ja, genügend, um die Lady unterzubringen.«
Ranulf nickte, ehe er Kenric und Lanzo ansah. »Habt ihr entschieden, wer mit ihr fahren wird?«
»Lanzo«, antwortete Kenric, »da er kleiner ist und weniger Platz in dem Karren beanspruchen wird.«
»Zweieinhalb Zentimeter kleiner«, meinte Lanzo brummig, »und das dürfte wohl kaum eine Rolle … «
Kenric grinste. »Dann eben dünner.«
Walter lachte in sich hinein. »Also hat Kenric beschlossen, daß Lanzo es freiwillig machen wird? Kopf hoch, Lanzo. Deine Aufgabe ist die wichtigste. Du mußt dafür sorgen, daß die Lady den Coup nicht gefährdet, daß sie nicht den geringsten Laut von sich gibt, um die Wächter nicht zu mobilisieren, ehe wir das äußere Tor passiert haben. Was meinst du, Ranulf? Bringt er das fertig? Er ist nicht viel größer als sie.«
Kenric kicherte. »Zweieinhalb Zentimeter größer.«
»Kannst du es, Lanzo?« fragte Ranulf den Jungen direkt und ganz im Ernst. »Denn wenn du es nicht kannst und die Lady Alarm schlägt, werden wir unseren Abgang erkämpfen müssen. Weißt du, wieviel Leben das kosten wird, falls es so weit kommt?«
»Ich kann es«, erklärte Lanzo fest und warf Kenric nun einen selbstbewußten Blick zu. »Doch sollte jemand fragen – aus welchem Grund befinde ich mich in dem Karren?«
»Eigentlich soll es niemandem auffallen, aber wenn doch jemand neugierig ist, dann bist du eben krank, so krank, daß du nicht reiten kannst.«
»Ein wenig Gestöhn und würgende Laute des Erbrechens werden ein übriges tun, jeden zu überzeugen und ein eventuelles Ächzen der Lady zu übertönen«, fügte
Walter hinzu. »Und unsere Männer werden sich unauffällig um den Karren gruppieren. Sie wissen, daß sie niemand zu nahe herankommen lassen dürfen.«
»Noch irgendwelche Fragen?« sagte Ranulf. Als alle schwiegen, fügte er hinzu: »Dann werden wir um Mitternacht anfangen. Kenric und ich holen die Lady. Searle, du wartest draußen auf der Treppe unter der Brücke. Während Walter den Wächter im Vordergebäude ablenkt, übergebe ich dir die Lady, also sei bereit, sobald sich die Tür öffnet. Du mußt die Dame im Karren festhalten, bis Lanzo kommt und deinen Platz einnimmt. Versteck dich gut, wenn die Tore für Eric geöffnet werden.
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