Fesseln der Sünde
wunderbare Mädchen sprachen, waren so deutlich wie eh und je.
Welch privates Glück das Leben an der Seite seiner Frau auch für ihn versprach, er war immer noch ein körperliches und seelisches Wrack. Das hatte seine angespannte Reaktion auf das Gewühl in St. Helier bestätigt. Das in ihm aufgekeimte zarte Pflänzchen der Hoffnung von heute Morgen war wieder zusammengeschrumpft, als er die altbekannte, niederschmetternde, kranke Reaktion auf die Menge verspürte. Die schmerzliche Realität war mit all ihrer unerbittlichen Grausamkeit wieder über ihn hereingebrochen.
Was war er doch für ein Narr, zu glauben, die zeitweilige Atempause könnte eine dauerhafte Heilung seiner Erkrankung bedeuten. Er würde nie ein normales Leben führen können und müsste immer auf Distanz zu seinen Mitmenschen bleiben, abseits von ihnen leben. Er könnte jemanden wie Charis nicht von der Welt abschotten und sie horten wie ein Geizhals sein Gold. Es wäre nicht fair, und er wusste, die Einschränkungen eines Lebens an der Seite eines Einsiedlers würden sie aufreiben. Er könnte es nicht ertragen, zu sehen, wie ihr fröhliches Gemüt allmählich erstarb.
Sie sagte, sie liebte ihn. Doch trotz ihrer Leidenschaft und Entschlossenheit war er nicht davon überzeugt, dass sie unter mehr als einem besonders heftigen Fall von Heldenverehrung litt. Im Gegensatz zu seiner Unwürdigkeit, von der er fest überzeugt war. Er hatte schon so viele Male versagt. Er könnte es nicht ertragen, zu sehen, wie es ihm bei ihr genauso erging. Und das würde sicherlich so kommen. Umso wichtiger war es, sie freizugeben, damit sie den Mann finden konnte, den sie verdiente.
Er unterdrückte seinen Schmerz bei der Vorstellung, sie könnte sich in einen anderen verlieben. Er musste an ihre Zukunft denken und nicht an seine eigenen, egoistischen Wünsche.
Nur dass genau diese Wünsche so riesig und einfach nicht aufzuhalten waren. Er sollte sie besser alleine schlafen lassen, doch wusste er bereits jetzt, dass er es nicht tun würde. Die erstaunliche Freude, die er in ihren Armen gefunden hatte, machte es ihm unmöglich, sich zu beherrschen, hatte er doch schon gedacht, jegliche Freude für immer verloren zu haben. Das eigennützige Gebet des heiligen Augustinus schoss ihm durch den Kopf. Herr, gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber noch nicht jetzt.
Charis hob ihr Weinglas, trank aber nicht daraus, sondern schaute mit besorgtem Gesichtsausdruck in das tiefe Rot des Weines. »Wenn du dir so sicher bist, dass es ein riesiger Fehler ist, warum hast du mich dann geküsst?«
Ach, was war sie doch für ein kluges Mädchen, den Kuss als Verrat seiner Grundsätze zu sehen und nicht den heutigen Morgen, als er sie so stürmisch geliebt hatte. Er sagte ihr die einfache, unumstößliche Wahrheit. »Weil ich dir nicht widerstehen kann.«
Überrascht schaute sie hoch, und ein Lächeln größter Freude zog über ihre vollen Lippen. »Wirklich?«
Sie sah so selbstzufrieden aus, dass er lachen musste. Obwohl er ein Schuft war, sie in ihrem Glauben zu bestärken, sie könnten glücklich werden. Es war eine Rolle, von der er annahm, sich im Laufe der nächsten Tage noch an sie zu gewöhnen. Denn jetzt, da er wusste, wie sie schmeckte, gab es nichts auf der Welt, was ihn davon abhalten könnte, sie zu berühren, solange sie im gleichen Raum waren.
Selbst jetzt, als er die Macht, die sie über ihn hatte, zugab, klang seine Antwort scharf. »Ja, verdammt noch mal, wirklich.«
»Na, dann ist ja gut.« Sie setzte ihr Weinglas ab, stand auf und läutete nach den Dienstboten.
Überrascht drehte er sich auf seinem Stuhl, um sie zu beobachten. »Das war’s? Ist die Inquisition beendet?«
»Vorerst ja.«
Er gab einen Seufzer der Erleichterung von sich, obwohl er diesem plötzlichen Frieden nicht traute.
Während die Dienstmädchen das Abendessen abräumten, das Zimmer aufräumten, das Feuer vorbereiteten und das Schlafzimmer herrichteten, stand er abseits neben dem Kaminsims. Selbst bei diesen alltäglichen Tätigkeiten um ihn herum spannten sich seine Muskeln voller Widerwillen an.
Nein, verdammt noch mal, er war weit davon entfernt, geheilt zu sein.
Die schaurige Gewissheit traf ihn bis ins Mark. Er schloss kurz die Augen in dem Versuch, den Willen aufzubringen, Charis zu verleugnen - und sich selbst. Doch der Wille war nichts gegen die mächtige Verlockung des Verlangens.
Er und seine Frau würden sich heute Nacht lieben. Vorfreude schoss durch seine Adern. Er
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