Fesseln der Sünde
war immer noch darüber erschüttert, dass ihre Stiefbrüder ihren Mann in einem unterirdischen Tunnel gefangen hielten. Als der Suchtrupp mit den Neuigkeiten nach Penrhyn zurückgekehrt war, hatte sie ihre Übelkeit kaum bezwingen können. In ihrem Mund war der bittere, gallige Geschmack von Angst zurückgeblieben.
An einem Ort wie diesem würden die Erinnerungen an Rangapindhi unweigerlich wieder hochkommen. Würde Gideon seinen Geistern genauso unweigerlich unterliegen? Vielleicht würden sie ihn dieses Mal für immer mitnehmen. Voller Entsetzen erinnerte sie sich daran, wie die Krankheit ihn auf dem Weg nach Portsmouth überfallen hatte. Diese neuerliche Folter musste ihn an seine Grenzen bringen, egal, wie stark er war.
Lass ihn gesund sein.
Sie unterdrückte ihre aufsteigende Panik. Sie gab sich selbst das Versprechen, um Gideons’ willen tapfer zu sein. Aber, o Gott, es war so schwierig, wenn sie sich die erstickende Dunkelheit vorstellte, in der ihr Mann gefangen war.
Was, wenn sie es schaffen würde, seinen Körper zu retten, aber nicht seinen Verstand? Eine solche Aussicht wollte sie erst gar nicht in Betracht ziehen, obwohl ihr Kopf nichts anderes tat, als diese grausamen Szenarien durchzuspielen.
Nur Mut,Charis.
Der Griff um den Perlmuttschaft ihrer Pistole wurde fester. Ihr brannten die Augen von fehlendem Schlaf, und sie hörte ihren pochenden Puls in den Ohren. Ihr sträubten sich die Nackenhaare. Sie wusste, Gideon war in der Nähe. Ihr Blut spürte es, so wie Tiere erkannten, wenn sich ihre Partner ihnen näherten.
»Gideon wird aus mir Kleinholz machen, wenn er herausfindet, dass ich Sie hierher mitgenommen habe«, murmelte Akash so leise, dass nur sie es hören konnte.
»Es blieb Ihnen nichts anderes übrig.«
Der einzige Weg, um sie aufzuhalten, wäre gewesen, sie auf dem Dachboden einzusperren. Selbst dann hätte sie alles daran gesetzt, hinauszuklettern. Akash war fest entschlossen gewesen, sie sicher im Haus zurückzulassen, doch gegen ihre Hartnäckigkeit konnte auch das stärkste Argument nichts ausrichten. Sollten Gideons’ Dämonen ihn besiegt haben, müsste sie da sein, um sie zu bekämpfen.
»Trotzdem wird er ungehalten sein«, sagte Akash düster.
Sie betete darum, dass Gideon noch lebte, um ungehalten sein zu können. Akash war nicht allzu sehr beunruhigt gewesen, als sie ihm erzählt hatte, wie sie gestern Abend in den Hinterhalt geraten waren. Obwohl Akash am besten von ihnen allen wusste, was Gefangenschaft für Gideon bedeutete.
Tulliver erschien oben auf der Böschung, die über dem Eingang verlief, und winkte, bevor er wieder aus dem Sichtfeld ging. Es war das verabredete Zeichen, die Mine zu stürmen.
Mit dem Ziel vor Augen hob sich Charis’ düstere Stimmung, und ihr Herz nahm einen sichereren, gleichmäßigeren Rhythmus an. Sie würde Gideon retten, egal welche Kräfte sich ihr in den Weg stellen würden.
Nicht mehr lange, mein Liebster. Warte auf mich …
Akash machte hinter sich eine Handbewegung. Mit leisem Rascheln krochen die Männer nach vorne. Charis bekam das Vorrücken am Rande mit, richtete aber weiterhin ihre Aufmerksamkeit auf die Mine.
Hubert trat mit zwei Pferden im Gefolge ans Tageslicht. Sie erkannte sofort das gemütliche Pony, das Gideon sich geliehen hatte, um das Gig zu ziehen.
Ihr Stiefbruder gähnte und streckte sich ungehemmt, was darauf schließen ließ, dass er keine Ahnung hatte, beobachtet zu werden. Hass stieg in ihr hoch, als sie ihn sah. Er war ungefähr zehn Meter von ihr entfernt, nahe genug für Charis, um zu sehen, dass er mit jedem Tag schlimmer aussah. Unmöglich zu glauben, dass er einen der ältesten Titel des Königreiches trug. Mit seinen schmutzigen, zerlumpten Kleidern und dem schmierigen, langen Haar würde er als gemeiner Bettler durchgehen.
Geräuschlos erhob sich einer der Männer, der sehr drahtig wirkte, aus dem zum Eingang hin wachsenden Farnkraut. Ein weiterer folgte. Sie nutzten das Unterholz als Deckung und kreisten Hubert von hinten ein, der einen Schritt in die wässrige Sonne machte. Nach einigen leisen Schritten hielt einer der Männer Huberts Mund zu, um mögliche Warnungen seinerseits zu ersticken. Der andere Mann überwältigte ihn.
Der Kampf war in Sekunden vorbei. Hubert lag geknebelt und gefesselt auf dem Boden. Er wehrte sich, als die Männer ihn von der Höhle wegzogen. Seine erstickten, grunzenden Proteste fanden ein jähes Ende, als ihm einer der Angreifer in die Rippen trat.
Von Felix
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