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Fesseln der Sünde

Fesseln der Sünde

Titel: Fesseln der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Campbell
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Lippen weiß vor Anstrengung. Die Gewissheit wuchs in ihr, dass ihm seine Träume keine Ruhe und Frieden brachten, während er dort bewegungslos wie eine steinerne Statue lag.
    Sie drehte sich weg und starrte mit leerem Blick hinaus in die Dunkelheit. Wer waren diese Männer, die sich entschlossen hatten, ihr Los mit ihr zu teilen? Tulliver, der jedweden Schwierigkeiten mit einer stoischen Ruhe ins Auge blickte. Akash, klug und rätselhaft wie ein eigenartiger Abgott aus einem fernen Land.
    Sir Gideon …
    Bei dem Gedanken an ihren Retter befahl sie ihrem eigensinnigen Herzen, nicht anzufangen zu flattern, was ungefähr der Tatsache gleichkam, der Sonne zu befehlen nicht aufzugehen. Mit jeden Moment, den sie in seiner Nähe verbrachte, zog sich das Netz der Faszination nur noch enger um sie.
    Er war bekannt, eine Berühmtheit. Die Menge in Portsmouth hatte sich voller Begeisterung um ihn gedrängt. Sie hatten ihn als den Helden von einem Ort namens Rangapindhi bejubelt. War er nach einer wagemutigen, patriotischen Tat im Ausland nach Hause zurückgekehrt?
    Ihre Stiefbrüder hatten sie monatelang von allem abgeschirmt. Sie hatte weder eine Zeitung zu Gesicht bekommen noch einen Brief erhalten. Die Ereignisse der letzten Zeit in der Welt draußen waren sang- und klanglos an ihr vorbeigegangen.
    Wenn Sir Gideon erst vor kurzem aus Indien zurückgekehrt war, ließ sich dadurch einiges erklären, was sie verwirrte. Seine Bräune. Akash. Selbst seine Krankheit. Die er sich vielleicht in den Tropen zugezogen hatte und ihn nun immer wieder befiel.
    Sein fürchterliches Leiden traf sie bis ins Mark. Gideon Trevithick, das einzige Bollwerk gegen ihre Stiefbrüder, war zweifellos krank. Doch das Wesen seiner Krankheit war ihr ein Rätsel. Welche Krankheit verwandelte einen Mann so schnell von einem unbesiegbaren Racheengel in ein zitterndes Wrack?
    Als der Morgen dämmerte, erwachte Sir Gideon aus seinem todesähnlichen Schlaf. Er bewegte sich nur leicht, doch genug, um Charis’ ruhelosen Halbschlaf zu stören. Sie öffnete die verschlafenen Augen und war sich mit einem Schlag ihrer eigenen Schmerzen und ihrer Erschöpfung bewusst. Das endlose Hin- und Hergeschaukel der Kutsche hatte ihre immer wiederkehrenden Träume unterbrochen. Sie hatte während der Nacht regelmäßig nach ihm geschaut, doch war seine Krankheit nicht wieder ausgebrochen.
    Er stöhnte auf und schwang seine Beine auf den Boden, während er sich aufsetzte, ohne sie dabei anzusehen. Mit einer müden Geste rieb er sich mit beiden Händen das Gesicht. Sie gewährte ihm diesen einen Moment privater Ungestörtheit, schob die Vorhänge beiseite und schaute auf eine wilde, unbesiedelte Landschaft hinaus. Die Atmosphäre in dem kleinen Raum war aufgeladen, nachdem sie ihn in einer solch extremen Situation erlebt hatte. Sie machte sie nervös, schüchtern und unsicher.
    Der Blick nach draußen half ihr nicht, ihren Mut wiederzuerlangen. Die Zivilisation lag meilenweit hinter ihnen. Die einsame Gegend, über die der Wind fegte, war niederdrückend und für eine Frau, deren Schicksal in den Händen Fremder lag, beängstigend. Eisern rief sie sich ins Bewusstsein, dass ihre Stiefbrüder ihre Spur in dieser Einöde nicht so einfach verfolgen könnten.
    Sie fragte sich, wie weit Sir Gideon noch gehen würde. Seit ihrer Abfahrt von Portsmouth hatten sie ihre schon seit Ewigkeiten andauernde Reise nur zum Wechseln der Pferde unterbrochen. Hastige, geübte Handgriffe, aufleuchtende Fackeln, Tulliver, der ihren Verband erneuerte, wenn sich dieser gelockert hatte, zum Schluss noch ein heißes Getränk, das ihr in die Hand gedrückt wurde. Und schon waren sie wieder auf dem Weg. Die Fleischbrühe von ihrem letzten Aufenthalt, einem armseligen Ort inmitten des öden Heidelandes, hatte einen ekeligen Geschmack in ihrem Mund hinterlassen. Zum Glück besaß sie einen eisernen Magen.
    Sie wandte sich wieder ihrem Begleiter zu und musste unwillkürlich nach Luft ringen. »Sie sehen fürchterlich aus.«
    Er brach überraschenderweise in schallendes Gelächter aus und strich sich mit der Hand über seine kantige, durch die Stoppeln kratzig gewordene Kinnlade. »Danke.«
    Sie wurde rot. »Entschuldigung. Ich habe nicht das Recht …«
    »Schon gut. Ich bin mir sicher, dass, wenn Ihre Beobachtung auch nicht gerade höflich ist, sie dennoch korrekt ist.« Er hörte sich wieder an wie der Mann, der sie im Stall gefunden hatte. Ironisch. Distanziert. Beherrscht.
    Nur dass sie nun wusste,

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