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Fesseln der Sünde

Fesseln der Sünde

Titel: Fesseln der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Campbell
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verwandelte sich in einen verschwommenen Fleck. Sein Hals war so angespannt, dass er zu würgen begann. Er sog zittrig Luft in seine leeren Lungenflügel.
    Sie sagte etwas. Er bekam nur das Ende, »… Tulliver holen«, mit.
    Um Konzentration bemüht, presste er Worte auf seine steifen Lippen, bis ein Laut entwich. Er wollte nicht, dass Tulliver kam. Tulliver würde ihn betäuben, und die Monster blieben in seinem Kopf gefangen.
    »Nein.«
    Nochmals holte er durch seine knirschenden Zähne Luft, selbst als tiefe Dunkelheit über ihn hereinbrach.
    »Nicht Tulliver.« Was er dann gebetsmühlenartig sagte, war keine Lüge. »Das hier wird vorübergehen.«
    Worte, durch Wiederholung abgedroschen.
    Vielleicht würde dieser Albtraum eines Tages nicht mehr vorübergehen. Der ständige Schrecken über diese fürchterliche Aussicht ließ seine Angst wie eine fettige Suppe in seinem Bauch erstarren.
    Ich bin nicht wahnsinnig, ich bin nicht wahnsinnig. Seine behandschuhten Hände umklammerten den abgewetzten Ledersitz, während er um seinen Verstand rang. Um Selbstbeherrschung. Um Ruhe.
    Die Dämonen waren so stark. Entsetzliche, kreischende Hirngespinste tobten in seinem Kopf.
    Ich bin in England.
    Ich bin sicher.
    Ich bin frei.
    Das Herunterbeten dieser Litanei war zwecklos. Was war das schon für eine Freiheit, wenn ihn immerzu grässliche Geister verfolgten?
    »Bitte, lassen Sie mich Tulliver holen.« Das Mädchen drang zu ihm durch, als schwämme sie im trüben Wasser. In letzter Minute begriff er, dass sie an das Dach klopfen wollte, um die Kutsche anzuhalten.
    »Nein!« Krächzend presste er das Wort über seine Lippen.
    Das Sprechen fiel ihm verdammt schwer. Er wünschte sich, alleine zu sein. Doch wem nicht zu raten war, dem war auch nicht zu helfen. Dieser alte Lieblingssinnspruch seiner Kinderfrau half ihm, eine Erklärung zurechtzuzimmern. Selbst wenn die Wörter seinen Hals durchschnitten, als wären sie Glasscherben.
    »Tulliver wird mir … Laudanum geben.«
    Opium stürzte ihn in einen Strudel des Vergessens. Doch die Träume, die das Mittel hervorrief, drohten ihn wirklich wahnsinnig werden zu lassen.
    Sie runzelte die Stirn. »Wenn es Ihnen Erleichterung verschafft …«
    »Nein!«, erwiderte er fast schreiend.
    Das Mädchen schrak zurück. O Gott, er musste wieder etwas Kontrolle gewinnen. Er schnappte noch einmal nach Luft und mühte sich, sein frenetisch rasendes Herz zu beruhigen.
    Sie starrte ihn aus ihren großen, weit aufgerissenen, entsetzten Augen an. Er hasste es, wenn seine persönlichen … Eigenarten andere in Verlegenheit brachten. Irgendwie müsste er ihr zu verstehen geben, sich nicht ängstigen zu müssen. Gott sei Dank behielt sie nach diesem ersten zaghaften Versuch, ihn zu beruhigen, ihre Hände bei sich.
    Was wollte er ihr noch einmal sagen? Er konnte seine Gedanken nur schwer fassen, sie zogen so schnell an ihm vorbei wie Wolken am Himmel.
    Genau, das war’s. Tulliver. Er straffte den Kiefer und sprach mit einem tiefen, barschen Ton in der Stimme. Ganz schnell, bevor die Kraft ihn wieder verließ.
    »Niemand kann etwas für mich tun. Das Beste …« Er hielt inne, um die grölenden Teufel zu bekämpfen. »Bitte, beachten Sie mich einfach nicht weiter.«
    »Das wird wohl nichts nützen.« Selbst durch das umherschwirrende Chaos in seinem Kopf konnte er die Bestimmtheit in ihrer Stimme hören.
    Seine ganzen Gelenke verspannten und zogen sich krampfartig zusammen. Ihm hob sich der Magen wie ein stürmisches Meer. Wellen von Hitze und Kälte überkamen ihn. Er schlug seinen Arm gegen die Brust, aber nichts linderte die quälenden Krämpfe. Dieser Anfall war einer der schlimmsten.
    Wäre er alleine, würde er den Schmerz ertragen, bis er vorüberging. Doch er wollte dem Mädchen keinen Kummer bereiten, indem er sich erbrach.
    So müsste er wohl den teuflischen Segen des Opiums hinnehmen.
    Irgendwie schaffte er es, durch seine klappernden Zähne zu fragen: »Können Sie die Kutsche anhalten?«
    Sie fragte zum Glück nicht, was seinen Sinneswandel bewirkt hatte, und schlug heftig gegen das Dach. Die Kutsche hielt rumpelnd an. Die ruckartige Bewegung löste das Geräusch klirrender Becken in seinem Kopf aus und hüllte sein Augenlicht in Nebel.
    Die Tür wurde aufgerissen. Seine Ohren nahmen nur noch ein Gewirr von Stimmen wahr. Tulliver reichte eine Zinnschale.
    »O Mann, das ist aber ein schlimmer Anfall«, sagte er gelassen, während Gideons zitternde Hände das Gefäß umklammerten.
    Gideons

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