Fesseln der Sünde
wenn er sie mit dieser warmen Aufmerksamkeit bedachte, fühlte sie sich wie eine in der Sonne erblühende Sonnenblume. Sie wusste, diese Reaktion war unschicklich, verwirrend und gefährlich, doch sie kam nicht dagegen an.
Er unterbrach die angespannte Stille und sprach mit einer höflichen Förmlichkeit, die die bereits eisige Atmosphäre noch mehr abkühlte. »Ich hoffe, Sie werden das Haus wie Ihr eigenes betrachten, Miss Watson. Gehen Sie, wohin Sie möchten. Lesen Sie hier in der Bibliothek, was immer Sie möchten. Im Frühstückszimmer steht ein Pianoforte - zumindest stand es dort einmal. Ich empfehle Ihnen jedoch, sich nicht zu weit vom Anwesen zu entfernen, da Sie gesehen werden könnten. Wenngleich ich vermute, dass Ihre Verletzungen größere Anstrengungen zurzeit noch nicht erlauben.«
»Danke«, sagte Charis matt. Wie dumm nur, sich in die Arme von Sir Gideon zu wünschen. Sie rief sich eindringlich ins Gedächtnis, nur Fremde zu sein, die einander zufällig begegnet waren. Dieser dumme, eigensinnige, beschwingte Rhythmus ihres Herzens war völlig unangebracht.
Die Schläge, das tagelange Reisen und dazu noch ihre aufgewühlten Gefühle raubten ihre letzte Energie. Mit einer müden Geste stellte sie die Tasse auf den Unterteller ab. Jede Sekunde ließ die Vielzahl ihrer Schmerzen stärker werden. Ihr Kopf wurde vor Müdigkeit schwer.
Er erhob sich vom Stuhl, ging hinüber zu einer Anrichte und goss sich einen Brandy ein. »Das Haus und das Anwesen werden in den nächsten Tagen meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Penrhyn war zu lange ohne einen Herrn.« Sie erkannte in seinem Ton den bewussten Versuch, sie auf Distanz zu halten.
»Sie müssen mich nicht unterhalten oder Ihre Pflichten meinethalben vernachlässigen.« Ihre Stimme war vor Enttäuschung tonlos. Aber was hatte sie erwartet? Dass er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte? Genau wie sie wollte, dass seine Gesellschaft ihr über die unbekannte Situation hinweghalf.
Charis, tu nicht so, als wäre das der Grund .
Sie zwang sich zu einem gleichmäßigen Ton. »Sie haben bereits so viel für mich getan.«
»Seien Sie nicht albern.« Er leerte sein Glas in einem Zug und stellte es krachend ab. »Ich habe getan, was jeder getan hätte.«
»Sie sind zu bescheiden, Sir Gideon.«
»Machen Sie aus mir nicht mehr, als ich bin, Miss Watson.« Seine Augen funkelten dunkel, als er sie eindringlich ansah. Die Spannung, die wie ein dünner Faden aus Gold zwischen ihnen entstanden war, stand kurz davor, zu zerreißen. »Ich bin der schlimmste Sünder, den es je auf der Welt gegeben hat. Bitte, denken Sie daran.«
Das unsichtbare, sie miteinander verbindende Band riss. Er drehte sich um und stürmte aus dem Raum, während sie ihm in hoffnungsloser, verletzter Fassungslosigkeit hinterherblickte. Die Sonne wandte sich von ihr ab, und sie blieb zitternd in der plötzlichen, beißenden Kälte zurück.
6
In den darauffolgenden Tagen sah Gideon Sarah sehr wenig. Da sich sein Gast in ihrem Zimmer aufhielt und erholte, erwies es sich als überraschend einfach, ihr nicht begegnen zu müssen.
Sie aßen unter den neugierigen Augen seiner Dienerschaft gemeinsam zu Abend. Gelegentlich kreuzten sich ihre Wege auf einem Flur, und er fragte nach ihrem Befinden. Sie waren perfekt höflich, zwei Fremde, die sich freundlich guten Tag sagten. Glücklicherweise gab es keine Anzeichen für die gefährliche Vertrautheit, die während ihrer Reise nach Penrhyn entstanden war.
Bei jeder Begegnung wurde er sich mehr und mehr ihrer Schönheit bewusst, die unter den entstellenden Blutergüssen hervortrat. Was für ein weiterer grausamer Scherz des Schicksals, das verzweifelte, verletzte Mädchen in eine atemberaubend schöne Frau zu verwandeln, die sein träges Blut in Wallung brachte.
Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass ihre Brüder sie bis hierher verfolgen würden, doch Gideon ging kein Risiko ein und hatte dafür gesorgt, dass immer einer wusste, wo sie war. Ein paar kräftige Dorfbewohner verstärkten die Dienerschaft im Haus, und mehrere Männer patrouillierten die Anfahrtswege zum Haus.
Selbst wenn er ihr Kindermädchen hätte spielen wollen, wäre es ihm zeitlich nicht möglich gewesen. Er war zu sehr beschäftigt. Meistenteils war er außer Haus und kümmerte sich um nicht enden wollende Bitten, Anfragen und Entscheidungen zum Anwesen. Nach Jahren der Vernachlässigung mussten tausend Dinge besprochen werden, große und kleine.
Was sich an seinen ersten
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