Fesseln der Sünde
Nähe bist«, erwiderte sie müde und tastete sich vor zur Anrichte.
»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Egal.« Vielleicht war es die Trostlosigkeit, die so typisch für die frühen Morgenstunden war, doch in diesem Moment hatte sie das Gefühl, alles auf der Welt wäre ihr gleich.
Nichts regte sich, sodass sie sogar das säuselnde Geräusch von Gideons Atem hören konnte. Sein Stuhl knarrte, als er sich bewegte. Im Hintergrund knisterte ein Holzscheit. Die Intimität, die im Raum lag, war intensiv, elektrisierend. Gleichzeitig fühlte sich Charis, als läge ein tausend Meilen breites, eisiges Meer zwischen ihr und Gideon.
Sie bekam eine Gänsehaut. Sie hätte sich eine Decke umlegen sollen, bevor sie aus dem Schlafzimmer gegangen war. Sie griff nach einer Kerze und wollte sie an den Kohlen anzünden.
Er musste in dieser Dunkelheit besser sehen als Charis, denn er sagte schnell. »Bitte, zünde sie nicht an.«
Sie hielt inne und schaute ihn an. Dabei lehnte sie sich, zitternd vor Kälte, gegen die Anrichte. »Warum nicht?«
Er gab keine Antwort. Zumindest nicht in Worten. »Geh wieder ins Bett, Charis.«
»Allein?«
»Verflucht noch mal, ja.« Ihm versagte die Stimme. »Wir reden morgen früh miteinander.«
»Wozu?« Sie holte tief Luft und bemerkte, dass der säuerliche Alkoholgeruch nicht von der leeren Champagnerflasche stammte. »Du hast getrunken.«
Es sollte kein Vorwurf sein, klang aber so. Sein Stuhl knarrte wieder, als er sich aufrichtete. »Ja. Und geschlagen habe ich mich auch.« Seine Stimme klang irgendwie eigenartig. Flach und unmelodisch, wie sie sie noch nie vorher gehört hatte.
Plötzlich entschlossen trat sie vor zum Kamin und zündete die Kerze an. Ein schwacher Lichtschein flackerte auf. Zitternd hielt sie die Kerze in ihrer Hand, drehte sich um und hob sie in seine Richtung. Die Wärme des Feuers auf der Rückseite ihrer Beine tat ihr gut.
Sie erwartete von ihm, zurückzuschrecken, doch er saß unbeweglich da, während sie mit der Kerze die ihn umgebende Dunkelheit erhellte. Als sie ihn erblickte, konnte sie nicht verhindern, dass sie erstickt aufkeuchte.
»Ich gehe mal davon aus, dass ich nicht ganz so gut aussehe, oder?«
Ihre Hand zitterte so schlimm, dass sie den Kerzenhalter wieder zurück auf den Sims stellen musste. Doch das diffuse Licht hatte genug offenbart, um ihre Übelkeit wieder aufkommen zu lassen.
Seine Lippen verzogen sich zu einer Grimasse, von der sie wusste, dass sie ein Lächeln sein sollte. Er beantwortete seine eigene Frage. »Offensichtlich nicht.«
»Dir geht es nicht gut«, sagte sie mit rauer Stimme und verschränkte ihre Arme vor dem Oberkörper, um sich ein bisschen Wärme zu verschaffen.
»Nein, nur betrunken und tief betrübt.« Er machte plötzlich eine wilde Geste mit seiner behandschuhten Hand. »Um Himmels willen, Charis, geh ins Bett. «
»Nein«, erwiderte sie stur und schlang ihre Arme noch fester um sich, um ihr Zittern zu verbergen.
»Vor nicht einmal zwölf Stunden hast du versprochen, mir zu gehorchen.«
»Und du hast versprochen, mich zu lieben«, sagte sie schnippisch und bereute ihre Worte sofort.
Sein Gesicht verzerrte sich so sehr vor Schmerz, dass sie zurückzuckte. Er sah fürchterlich aus. Seine Kleider waren zerrissen und standen vor Dreck. Auf einem seiner Wangenknochen zeichnete sich eine Schramme ab, und auf dem offenen Kragen seines Hemdes befanden sich Blutflecken.
Den eleganten Mann, den sie geheiratet hatte, gab es nur noch in der Erinnerung. Er hatte sein Halstuch verloren, seine Handschuhe waren schmutzig und seine Kinnpartie voller dunkler Stoppeln. Nun, da sie näher getreten war, war der Gestank nach Alkohol eindeutig.
Am schlimmsten jedoch war der Ausdruck in seinen Augen, als er sie starr anblickte. Er sah ausgezehrt und krank aus, als wünschte er sich, tot zu sein.
Dennoch nahm seine Stimme einen tiefen, freundlichen Ton an. »Geh zurück ins Bett, Charis. Morgen früh sieht die Welt wieder anders aus.«
Es war das nichtssagende, bedeutungslose Versprechen, das man einem Kind gab. Da sind keine Ungeheuer unter dem Bett. Du hast dir wehgetan, lass mich dir ein Küsschen darauf geben, und schon wird alles besser. Natürlich gibt es ein »Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.«
Obwohl sie vor Nervosität zitterte, blieb ihr Ton fest. »Nein, wird es nicht. Du musst mir die Wahrheit sagen, Gideon. Ich bin deine Frau. Ich verdiene es, zu wissen, was nicht in Ordnung ist.« Sie hielt
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