Fesseln der Unvergaenglichkeit
indianisches Tattoo.«
»Du wirst die dunkle Spirale, die dein Zeichen ergriffen hat, nicht mehr aufhalten können, wenn du dich mir nicht anvertraust«, sagte er besorgt.
»Warum sollte ich?«
»Weil ich der Einzige bin, der dir helfen kann. Ich verfüge über ein Wissen, das den meisten Ärzten verborgen bleibt. Und ich fühle mich dir sehr verbunden. Du musst meine Heilkraft sicher schon gespürt haben, wenn ich dich berühre.«
Aiyana sog die Luft ein. Sie wusste, was er meinte. Wenn sie sich ihm überließ, würde sie wie Wachs in seinen Fingern sein. Sie schüttelte zornig ihren Kopf. »Und wenn ich Ihre Hilfe verweigere, was wird dann geschehen?«
»Dann werde ich Maßnahmen ergreifen. Ich darf als Arzt nicht zulassen, dass du das Leben der Menschen gefährdest. Komm morgen in meine Praxis, dort werde ich die dunklen Kräfte vernichten. Wenn du nicht kommst, kann das sehr schlimme Folgen haben und ich muss mir einen anderen Weg einfallen lassen, um dich davon zu überzeugen, dass eine Behandlung nötig ist.«
Aiyana sah ihn wütend an. »Ich werde es mir überlegen.« Sie stapfte zornig davon, froh, dass sie den Schmerz ihres Knöchels ertragen konnte und Doktor Weser nicht länger brauchte.
Sie ging empört in ihre Garderobe, zog das weiße lange Tüllkleid an, trank Wasser und legte etwas Puder auf ihre Wangen. Sie dachte an Doktor Wesers Worte und schüttelte ihre Zweifel ab. Wütend beschloss sie, sich nicht erpressen zu lassen. Er würde niemandem beweisen können, dass ihr Symbol kein Tattoo war.
Nervös betrachtete sie sich im Spiegel und wünschte sich, dass die Vorstellung zu Ende sei, damit sie Doktor Weser nicht mehr treffen musste. Sie glaubte ihm nicht, dass er ihr helfen konnte. Leonardos Fluch lag auf ihr, dagegen konnte er nichts unternehmen. Oder doch? Musste sie nicht alles versuchen, damit sie wieder zu Leonardo zurückkehren konnte? War es möglich, dass der Arzt ihr dabei helfen konnte? Sie schüttelte ihren Kopf. Ihr Puls beschleunigte sich. Er hatte ihr gedroht. Sie begann zu zittern. Sie war ihm ohne Leonardos Hilfe ausgeliefert. Was, wenn er nicht aufgab und sie weiter belästigte? Wie lange konnte sie sich wehren? Der Lautsprecher riss sie aus ihren Gedanken und sie eilte zur Bühne zurück. Nur mit Mühe konnte sie in die Rolle einer Willi schlüpfen. Sobald sie ins Scheinwerferlicht trat, vergaß sie den Arzt. Im düsteren Licht des Waldes verteidigte sie Albrecht. Sie vertrieb die Willis, die als unerlöste Geister den Tod von Albrecht wollten. Immer wieder verl ockten die in weißen Tüll gekleideten Geister Albrecht zum Tanzen, damit er vor Erschöpfung tot zusammenbrechen würde. Unermüdlich beschützte sie ihn, lockte ihn weg von der verführenden Schönheit der Willis und erlaubte ihm Ruhepausen. Beim Morgengrauen musste sie in ihr Grab zurück und Albrecht verließ den düsteren Wald. Er hatte seine tödliche Liebe überlebt. Warum durfte sie Leonardo nicht lieben und die tödliche Gefahr überleben? Aiyana verschwand in den Kulissen und überließ Albrecht die Bühne. Sein Gang zurück in seine Welt beendete das Ballett mit den aufwühlenden Klängen des Orchesters. Für Sekunden verhaarten die Zuschauer andächtig. Erst als die Willis die Bühne betraten und sich mit einer grazilen Bewegung verbeugten, kam Leben in den Zuschauerraum. Der Applaus schwoll an.
Sobald Aiyana herauskam, rauschte er tosend über sie hinweg. Nur mit Mühe kehrte sie in die Realität zurück. Sie wehrte sich bis zuletzt gegen die Illusion, dass Leonardo ihre Liebe nie aufgegeben hatte. Sie blieb an der Rampe stehen und verbeugte sich mit den gekreuzten Beinen einer Ballerina. Immer wieder musste sie auf die Bühne zurückkommen. Hand in Hand mit Viorel eilte sie hinaus und vollführte die Verbeugung, die sie seit ihrer Kindheit viele Male wiederholt hatte.
Doktor Weser nickte ihr zu, als sie an ihm vorbeiging. »Du hast das Ballett sehr ergreifend getanzt. Ich schätze mich glücklich, dass ich das erleben durfte, und hoffe, dich morgen zu sehen.«
Sie nickte kurz und eilte in ihre Garderobe. Wütend öffnete sie ihre Haare. Sie fielen auf ihre Schultern. Ihr Herz klopfte und sie sah ihre geröteten Wangen im Spiegel. Sie brauchte keinen Wunderheiler, der sie vor der dunklen Kraft ihres Symbols schützte.
*
»Warum wolltest du hierherkommen?«
»Ich musste Aiyana wiedersehen.« Leonardo blickte auf den geschlossenen Vorhang. »Ich konnte es nicht mehr ertragen ohne sie.«
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