Fesseln der Unvergaenglichkeit
verbergen.
»Guten Tag, Helena. Kann ich dir etwas zum Trinken bringen?« Chloe hatte das Wohnzimmer betreten.
Ihre verweinten Augen konnten nur bedeuten, dass Vater ihr gesagt hatte, dass der Fluch auf ihm lag.
»Ein Glas Wasser bitte«, sagte Helena und musterte seine Mutter erstaunt.
»Lass nur Mama, ich gehe es holen.« Leonardo ging zur Bar und füllte ein Glas für Helena.
Sie nahm einen Schluck. Leonardo setzte sich ihr gegenüber und starrte das Bild von Cy Twombly an, das über dem Sofa hing. Die filigranen, traumähnlichen Hieroglyphen spendeten ihm Mut. Sein Herz klopfte. Wie sollte er beginnen? Helena würde erfahren, dass er ihre Schwester umgebracht hatte. Daphne war seine Braut gewesen, der Fluch konnte nur von ihr kommen.
Zakhar blieb stehen. »Wir sollten über eure Hochzeit sprechen.«
Helena stellte ihr Glas ab. »Neele liegt im Sterben, wir müssen uns beeilen, damit der Übergang gewährleistet ist.«
Leonardo räusperte sich. »Ich kann dich nicht heiraten.«
»Warum nicht?«, fragte Helena und Leonardo meinte, Erleichterung auf ihren Zügen zu lesen.
»Der Fluch liegt auf mir.«
Helena sah ihn fassungslos an. »Wie?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Ihr schönes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Nur meine Schwester konnte den Fluch auf dich legen.« Ihre Stimme klang atemlos, als sie fortfuhr. »Du hast sie vor der rituellen Hochzeit verführt. Hast du sie danach vor den Zug gestoßen, damit es wie ein Unfall aussah?«
»Natürlich nicht. Ich würde nie so etwas tun.«
»Die Polizei hatte dir nie etwas beweisen können, aber der Fluch zeigt mir deine Schuld.« Sie sprang auf. Ihre Augen sprühten vor Hass. »Ich habe sie geliebt. Du hast sie mir weggenommen. Das werde ich dir nie verzeihen. Du hast dich kaltblütig an meine Schwester herangemacht, obwohl du wusstest, dass sie sterben würde, wenn du sie verführst. Du hast geschwiegen und deine Handlung hinter einem Mord versteckt wie ein gemeiner Verbrecher.«
»Ich habe sie nicht vor den Zug gestoßen. Ich weiß nicht, wie es passieren konnte.« Leonardo sprang mit geballten Fäusten auf.
»Warum sollte ich dir glauben? Alden hat recht, wenn er nichts von euch wissen will. Ich wünschte mir, ich könnte mich an euch rächen.« Sie schnaubte und sah Leonardo zornig an. »Alden ist im Moment in Irland, um sich scheiden zu lassen. Danach werden wir heiraten. Leider wirst auch du von unserer Liebe profitieren können. Aber glaub mir, wenn ich könnte, würde ich das verhindern«, sagte sie und sah aus, als wollte sie ihn anspucken. »Ihr versteht, dass ich nicht länger hier bleiben kann. Ich werde in Neeles Wohnung bleiben, bis sie ihre Reise antritt.« Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ das Zimmer.
Leonardo sah die dunkel gekleideten Trauergäste an, die sich um das offene Grab versammelt hatten. Sie bildeten einen lückenhaften Kreis. Neele hatte ein zurückgezogenes Leben geführt und nur die engsten Verwandten wussten von ihrem Tod. Die Stimme des Vampirs, der sich als Pfarrer um die verstorbenen Lix kümmerte, durchbrach das Schweigen. Er stand neben dem Erdloch, das Neele wie ein gefräßiger Schlund verschluckt hatte. Bis zuletzt hatte sie ihr Lächeln beibehalten. Ihr liebevolles Wesen hatte den Tod so willkommen geheißen, wie sie gelebt hatte, mit Verständnis und Güte. Er hatte eine Nacht lang neben ihrem toten Körper gewacht, unfähig, die grausame Tatsache zu begreifen. Sie hatte ihn nicht erhört und ihre Reise fortgesetzt. Der stahlblaue Himmel wurde durch keine Wolke getrübt. Leonardo wünschte sich, dass das Leben der Visconti wie die schwerelosen Dunstschleier weiterschweben würde, und wusste gleichzeitig, dass sein Traum unmöglich war. Leonardo stand neben seinem Vater, der starr geradeaus blickte. Der Pfarrer beendete sein Gebet und gab Leonardo ein Zeichen. Er schluckte. Die Worte, die Neele ausgesucht hatte, kamen ihm nur mit Mühe über die Lippen. Sein Hals fühlte sich rau an.
»Erzulie, du gibst das Licht und spiegelst dich im Mondenschein. Freude, Hoffnung und Mitgefühl senkst du als Saat der Liebe in die Herzen deiner Dienerinnen.«
Leonardo wünschte sich, dass Neele ungestört ihre Totenruhe fand. Er betete stumm zu Erzulie, flehte sie an, Neeles Seele zu beschützen.
Zakhars Gesicht glich einer Maske. Nur am Sterbebett hatte er seine wahren Gefühle gezeigt und unter Tränen seine Mutter an sich gezogen und ihr seine Liebe beteuert. Er hatte sie
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