Fesseln des Herzens
nach dem Leben trachtet. Wenn, dann wärst du dort ebenfalls in Gefahr, denn du hast mich gerettet. Wir werden nicht mehr lange verbergen können, dass wir uns lieben.«
»Sollte ich nicht gerade deswegen bei dir sein?«, entgegnete Aimee flehend. »Um Ungemach von dir abzuwenden?«
Ravencroft schüttelte den Kopf, dann zog er sie an sich und küsste sie.
»Bitte versteh mich. In meinem Kerker sitzt ein Verräter, und niemand kann wissen, was noch alles geschehen wird. Wer auch immer den Mann geschickt hat, wird gewiss nicht ruhen und es wieder versuchen. Bleib hier in deinem Turm, den niemand kennt außer uns. Hier wirst du am sichersten sein.«
»Und vor Sehnsucht nach dir und vor Sorge vergehen.«
»Ich werde zu dir kommen, sobald ich es kann.«
»Wird es nicht zu gefährlich sein, die Burg zu verlassen? Was, wenn …«
Ravencroft legte ihr einen Finger auf die Lippen und küsste sie dann erneut. »Bitte versprich mir, dass du hier warten wirst und nicht eher in die Burg kommst, bis ich es dir erlaube.«
Aimee nickte traurig. Vielleicht ist er deiner jetzt doch überdrüssig, wisperte ihr eine Stimme zu, aber den unschönen Gedanken schob sie schnell beiseite. Ich vertraue ihm, und so etwas würde er gewiss nicht tun.
Noch einmal küssten sie sich, dann verabschiedete sich Ravencroft mit wehmütigem Blick von ihr und ging nach unten.
Dort erwarteten ihn seine Männer bereits. St. James hatte genug Leute bei sich, um unterwegs ein kleines Scharmützel zu bestehen. Allerdings fehlte unter ihnen ein Gesicht, das der Baron eigentlich erwartet hätte.
Wo ist Henry?, fragte sich Ravencroft, als er vor die Soldaten trat, die ihn jubelnd begrüßten. St. James führte sie an, aber er hätte erwartet, eher seinen Hauptmann zu sehen.
Noch einmal wandte er sich zu Aimee um, die ihn mit sorgenvollem Blick musterte, dann stieg er in den Sattel. Die Narbe an seiner Schulter zog noch ein wenig, doch er kümmerte sich nicht weiter darum.
»Lasst uns losreiten!«, rief er seinen Männern zu, und wenig später setzte sich die Schar in Bewegung.
Als sie Ravencroft hinter dem kleinen Hügel verschwinden sah, krampfte sich Aimees Herz dermaßen zusammen, dass sie die Tränen nicht mehr länger zurückhalten konnte.
Die Zweifel überfielen sie trotz ihres Vertrauens zu dem Baron, und bereits jetzt fühlte sie sich furchtbar einsam. Ravencrofts Anwesenheit beraubt, wirkte der Turm wie erkaltet. Vielleicht kühlt jetzt auch seine Liebe zu mir ab, überlegte sie.
Unsinn, schalt sie sich selbst. Er will nur, dass ich nicht in Gefahr gerate. Aber was, wenn es wieder einen Angriff auf ihn gibt? Wer soll ihm dann helfen?
Während Unruhe ihre Glieder erfasste, wandte Aimee sich vom Fenster ab und begann dann, das Turmzimmer aufzuräumen. Als das Nachtlager, das sie die ganze Zeit über miteinander geteilt hatten, an der Reihe war, zog sie die Decke fest an sich und versuchte, der Wärme nachzuspüren, die Georges Körper in ihr hinterlassen hatte. Doch sie konnte sie nicht mehr finden. Seufzend richtete sie also die Bettstelle und ging nach unten, um nach der Rose zu sehen, die ihre Blütenblätter größtenteils verloren und mittlerweile rote Hagebutten ausgebildet hatte.
»Saint James, wo ist eigentlich Fellows?«, fragte Ravencroft, als sie sich nach einer Stunde der Burg näherten. Die ganze Zeit über hatte er sich diese Frage gestellt, gleichzeitig hatte er aber immer wieder an Aimee denken müssen und mit sich gehadert, ob seine Entscheidung die richtige gewesen war. In der Burg mochte es gefährlicher sein als in ihrem Turm, doch wie sollte er das, was vor ihm lag, alles bewältigen, wenn er nicht einmal den Trost ihres Anblicks hatte?
Sein Instinkt, den er im Morgenland erworben hatte und der seit seiner Verletzung neu erwacht war, sagte ihm deutlich, dass es besser sein würde, wenn sie nicht bei ihm war. Zum Ersten wegen ihrer Sicherheit, zum Zweiten weil er so einen klareren Blick auf die Dinge hatte, die in der Burg vorgingen.
»Ich weiß es nicht, Mylord«, schreckte ihn St. James’ Antwort aus seinen Gedanken. »Er hat vor ein paar Tagen im Auftrag Eurer Gemahlin die Burg verlassen und ist bis jetzt nicht zurückgekehrt.«
Ravencroft fragte sich, welchen Auftrag Nicole dem Hauptmann erteilt haben mochte, aber da hörte er auch schon den Jubel einiger Burgbewohner, die einfach aus dem Tor gelaufen waren. Nun konnte er nichts anderes tun, als den Menschen zu zeigen, dass er lebte und bereit war, die
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