Fesseln des Herzens
rannte.
Das musste die Schäferin sein, von der John gesprochen hatte!
Der Baron musste zugeben, dass er sie sich älter vorgestellt hatte, aber in diesem Augenblick war es egal, ob sie noch jung war oder runzlig wie eine Dörrpflaume. Hauptsache, sie verstand ihr Handwerk.
Sofort stürmte er unter den erstaunten Blicken des Geistlichen und des Medikus auf den Gang.
Da kam die Schäferin auch schon herbeigelaufen. Das Erste, was Ravencroft an ihr auffiel, war das Kleid, das sie trug. Es war nämlich kein Kleid im eigentlichen Sinne, denn der Rock war zwischen ihren Beinen auseinandergeschnitten und wie eine Hose wieder zusammengenäht worden. Um besser laufen zu können, hatte sie die seltsamen »Beinkleider« hochgerafft, so dass ihre langen Beine zu sehen waren.
Gewiss hätte der Priester diesen Aufzug keineswegs für schicklich gehalten, aber Ravencroft war augenblicklich fasziniert davon. Mit ihrem wehenden langen Haar wirkte die fremde Frau wie ein Engel, der ihm entgegengeflogen kam.
Noch im Laufen riss sie sich ein Stück Stoff von ihrem Ärmel ab und band sich damit die Haare aus dem Gesicht. Ohne ihn zu begrüßen, wie es eigentlich Brauch gewesen wäre, stürmte sie an ihm vorbei. Unter dem Windzug, der von ihrem Gewand ausging, verloschen einige der Kerzen.
Ravencroft war zunächst wie versteinert.
Wusste diese Person etwa nicht, wer er war? Er hatte sie noch nie hier gesehen, trotzdem musste sie von ihm gehört haben. Zumindest sollte sie angesichts seiner Kleider wissen, dass er ihr Herr war.
Die Frau würdigte ihn auch jetzt keines Blickes, sondern sorgte sich ausschließlich um die Schwangere. Unverwandt schob sie eine versteinert dastehende Magd beiseite, um an das Bett zu gelangen.
Der Medikus betrachtete die Fremde mit hochrotem Kopf, und der Geistliche starrte sie so entsetzt an, als hätte der Teufel das Gemach betreten. Der Baron schloss, ohne etwas zu sagen, die Tür hinter sich und beobachtete das Treiben aus der Ferne.
»Das Kind liegt verkehrt«, sah sich der Medikus genötigt zu bemerken, als die junge Frau ihre Ärmel hochkrempelte. »Es ist Gottes Wille. Auch Ihr werdet es nicht herausbekommen.«
Aimee stellte sich neben den Kopf der Baronin und schob ihr die Augenlider hoch. Das Grau der Pupillen wirkte reglos. Eine Angstwelle durchflutete die Schäferin, aber sie zwang sich zur Ruhe. Es nützt der armen Frau nicht, wenn ich die Fassung verliere, sagte sie sich.
»Sie ist bewusstlos«, stellte sie fest. »Wir müssen sie erst wieder wach bekommen. Ich brauche ein nasses Tuch.« Sie wandte sich an die Kammerfrau, die mit zitternden Händen ihrem Wunsch nachkam. »Kaltes Wasser«, setzte Aimee hinzu und zog die Schwangere vorsichtig hoch. Deren nackter Rücken leuchtete wie Schnee unter dem Schein der Kerzen.
»Was habt Ihr vor? Ihr könnt doch nicht …«, brüllte der Arzt und stürmte vor, um ihr das Tuch wegzureißen, das Ce-leste ihr gerade reichte.
Doch Aimee war schneller. Noch ehe er mit seinen knotigen Händen den Stoff erreichen konnte, hatte sie es schon ergriffen und den ersten Schlag auf den Rücken der jungen Frau ausgeführt. Die Baronin japste kurz auf, stöhnte, und nach dem zweiten Schlag war sie wach. Der Arzt wich fassungslos zurück, als kröche der Teufel höchstselbst aus dem Mund der jungen Baronin und nicht ihr Atem.
Nachdem Aimee den Zustand der Schwangeren ein wenig stabilisiert hatte, rief sie zwei Mägde zu sich. »Seht zu, dass sie wach bleibt, oder ich ziehe euch die Ohren lang.«
Die Mädchen nickten mit eingezogenem Kopf und legten kalte Tücher auf Stirn und Brust ihrer Herrin.
Aimee stieg inzwischen auf das Bett und kniete sich vor die gespreizten Schenkel der Frau. Der Muttermund hatte sich geöffnet, doch da das Kind mit dem Rücken zu ihm lag, steckte es fest. Sie erhob sich und wusch sich die Hände in dem kalten Wasser, trocknete sie aber nicht ab.
»Was habt Ihr vor?«, fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. Sie gehörte Ravencroft, der unruhig seine Hände knetete.
»Mylord, ich werde das Kind im Leib der Mutter drehen«, sagte sie scheinbar ungerührt und kniete sich wieder auf das Bett.
Offenbar wusste sie, wer er war. Dass sie ihm keine Ehre bezeugt hatte, hätte ihn ärgern können, aber dem Baron war klar, dass seine Gemahlin ohne diese Frau streben würde.
»Sie ist doch kein Schaf!«, protestierte der Medikus weiter. Die Farbe seines Gesichtes glich in diesem Moment der eines Scharlachkranken.
»Nein, aber wir alle
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