Fesseln des Herzens
sind Gottes Geschöpfe«, entgegnete Aimee. »Was bei einem Schaf hilft, das hilft auch bei einem Menschen.«
Damit machte sie sich an die Arbeit.
»Das ist Ketzerei!«, brüllte der Arzt, ungeachtet dessen, dass er sich lächerlich machte. »Sie wird Euer Weib töten, Mylord!«
Der Baron schritt nicht ein. Auch die Hebamme ließ sich von seinem Einwand nicht rühren, sondern machte einfach weiter.
Wieder hob der Arzt an, auf sie einzureden.
Aimee schloss die Augen und sagte, ohne sich umzudrehen: »Mit Verlaub, Mylord, aber würdet Ihr diesen Mann bitte hinauswerfen lassen? Ich kann mich sonst nicht konzentrieren!«
Noch ehe der bestürzte Mediziner den Mund öffnen konnte, riss ihn der Baron persönlich vom Bett weg und zerrte ihn nach draußen.
»Ich danke Euch«, sagte Aimee mit einem Nicken, als Ravencroft wieder durch die Tür trat.
Was genau sie tat, konnte der Baron nicht sehen, aber es war gewiss nicht schmerzlos. Nicole schrie und bäumte sich auf, ihr Rücken bildete einen Bogen wie eine weiche Weidenrute. Aimees Hand war nun in ihrem Leib.
»Ich ertaste die Lage des Kindes«, erklärte die Schäferin mit angespannter Stimme.
Die Baronin schrie dabei so laut, dass das Trommelfell in ihren Ohren vibrierte.
Mutter, wenn du vom Himmel auf mich herabsiehst, bitte lass mich das Richtige tun, betete sie im Stillen.
»So, nun habe ich es«, sagte sie schließlich und bewegte ihren Arm sacht. In ihrer Anspannung hörte sie das Schreien nun nicht mehr. Sie konzentrierte sich auf das Kind, dessen Rücken sie fühlen konnte. Stück für Stück schob sie mit beiden Händen den Leib weiter, bis sie meinte, den Kopf des Kindes zu spüren.
Dann zog sie den blutigen Arm zurück.
»Mylady, Ihr müsst jetzt pressen«, sagte sie so laut, dass ihre Stimme von den Wänden widerhallte.
Die Baronin gehorchte. Begleitet von gurgelnden Lauten stemmte sie die Füße gegen die Schultern der Schäferin, und im nächsten Moment ergoss sich rosafarbenes Fruchtwasser in einem heftigen Schwall auf Aimees Kleid. Wenig später lag der zarte Körper eines Kindes in ihren Händen.
Seine Haut wirkte bläulich, und als die Kammerfrau das sah, wich sie unwillkürlich zurück und schlug die Hand vor den Mund. Doch Aimee riss das Kind an den Füßen hoch, sperrte mit einem Finger seine Kiefer auseinander und schlug ihm dann vorsichtig auf den Rücken.
Augenblicklich schnappte das Neugeborene nach Luft und begann zu schreien. Laut und kraftvoll legte sich seine Stimme über das erschöpfte Atmen der Mutter.
Für einen Moment schien die Zeit in der Burg stillzustehen.
Dann sank der Baron kraftlos auf die Knie und faltete die Hände zum Gebet. Er konnte nur noch an eines denken, nämlich daran, dass sein Kind lebend zur Welt gekommen war. Und dass auch seine Gemahlin noch am Leben war.
Aimee nabelte das Kind ab und legte es auf die Brust der jungen Baronin. Dann fiel auch sie auf die Knie, nicht aus Dankbarkeit, sondern vor Erschöpfung, und die Anspannung ließ ihre Muskeln zittern.
»Lasst uns dem Herrn danken, es ist überstanden«, sagte sie kraftlos, während sie sich mit beiden Händen abstützte und eine Blutspur über den Steinfußboden zog. »Gebt der Köchin Bescheid, dass sie Eurer Gemahlin eine kräftige Brühe bereiten möge, damit sie rasch wieder zu Kräften kommt.« Mit diesen Worten erhob sie sich mit noch immer zitternden Gliedern, wandte sich zum ersten Mal nach dem Baron um und sah ihn inmitten des Raumes auf den Knien hocken. »Mylord, Ihr habt eine Tochter.«
Aimee hatte den Baron bislang nur beiläufig wahrgenommen, und zuvor hatte sie ihn bestenfalls gesehen, wenn er mit seinen Männern durch den Wald geritten war, um zu jagen. Jetzt erkannte sie, dass er, der in den Geschichten der Leute so unnahbar erschien, eigentlich ein ganz normaler Mann war. Ein gutaussehender Mann, dem man seine achtunddreißig Lenze nicht allzu sehr ansah. Im Gegenteil, mit seinen breiten Schultern und den ebenmäßigen Zügen stach er jeden Jüngling aus.
Sie wusste selbst nicht, warum, aber auf einmal stieg eine seltsame Verwirrung in ihr auf. Lag das an dem Lächeln, mit dem er sie bedachte?
Das Schreien des Säuglings riss sie aus ihren Gedanken fort und brachte sie dazu, sich umzuwenden. Die Mägde hatten das kleine Mädchen an sich genommen und badeten es vorsichtig. Die Mutter betrachtete den Vorgang erschöpft, dennoch spielte ein feines Lächeln auf ihrem Gesicht. Der Priester stand am Fenster und war auf einmal
Weitere Kostenlose Bücher