Fesseln des Herzens
Strähne, Mylord, färbte sich, als meine Mutter tot am Fuße einer Klippe aufgefunden wurde. Sie hat den Schmerz über den Verlust ihres Gemahls und ihres Kindes nicht verwunden.«
Der Baron verfiel in Nachdenklichkeit. Drei gewaltsame Tode, ging es ihm durch den Sinn. Wollte Gott Aimee mit den Strähnen zeichnen?
Er fand keine Antwort.
»Die Leute im Dorf glauben, dass du mit deinen Strähnen Todesfälle vorhersagen kannst«, merkte er schließlich an, eingedenk des Gesprächs mit Fellows. »So hat es mir jedenfalls einer meiner Getreuen berichtet.«
Aimee lächelte bitter. »Die Leute erzählen viel, wenn der Tag lang ist und sie sich gewisse Dinge nicht erklären können. Einige Frauen glauben wirklich, dass mein Haar den Tod meiner Familie vorhergesehen hätte, aber dem ist nicht so. Die Wahrheit ist vielmehr, dass mich Gott nach ihrem Tod gezeichnet hat.«
Wieder schwiegen sie einen Moment lang.
»Du bist etwas ganz Besonderes, Aimee«, sagte Ravencroft schließlich und trat an das offene Fenster. »Deshalb möchte ich dich bitten, Patin meiner Tochter zu werden. Und auch ihre Kinderfrau.« Er wandte sich um und blickte in Aimees überraschtes Gesicht.
»Patin?«, rutschte es ihr heraus. »Aber ist das denn möglich? Ich bin nicht von edler Geburt!«
»Als Patin musst du reinen Herzens sein und dem Bösen abschwören. Das tust du doch, oder?«
»Selbstverständlich, Mylord.«
»Nun, dann sehe ich keinen Grund, warum ich dich nicht zur Patin meines Kindes machen sollte. Außerdem werden genug Edle anwesend sein. Ich glaube nicht, dass es meiner Tochter schaden wird, eine Frau aus dem Volk als Patin zu haben. So wird sie immer wissen, dass das Volk unverzichtbar für ihre Herrschaft ist. Egal, ob sie eines Tages diese Baronie beherrschen wird oder eine andere.«
Angesichts seiner Worte und der Wärme, die darin mitschwang, begann Aimees Herz zu rasen.
Was ist bloß mit mir?, fragte sie sich. Er bittet mich doch nur, Pate zu stehen …
Die Schäferin zögerte noch immer. Es war sehr ungewöhnlich, dass ein hoher Herr eine einfache Frau wie sie in der Nähe seines Kindes wissen wollte. Aber sie wusste, dass sie nicht ablehnen konnte. »Wenn Ihr es wünscht, so werde ich die Patenschaft übernehmen«, sagte sie daher.
George of Ravencroft nickte zufrieden. »Dann bleib bis zur Taufe in der Burg und sei mein Gast.«
Jetzt lächelte Aimee wieder. »Habt Dank, Mylord«, sagte sie und neigte erneut den Kopf ein wenig zur Seite. »Doch meine Schafe warten. Meine Hunde sind zwar klug, aber sie können die Herde nicht alleine zusammenhalten. John mag seine Pflicht gut versehen, allerdings ist er kein Schäfer.«
»Dann nimm eines meiner Pferde. Am besten das, auf dem du hergeritten bist.«
Aimee hob abwehrend die Hände. »Mylord, das kann ich nicht …«
»Du kannst es«, entgegnete er schnell und griff nach ihrer Hand. »Es sei denn, die Schindmähre hat dir auf dem Weg hierher Schwierigkeiten gemacht.«
Die Schäferin schüttelte den Kopf. »Nein, Mylord, es ist das beste Pferd, das ich je gesehen habe.«
»Dann gehört es dir, und ich will keine Ablehnung hören!«
»Dann danke ich Euch für das Geschenk«, erwiderte sie und verneigte sich tief.
Der Baron ließ sie nun gehen. Sein Lächeln folgte ihr zur Tür und verharrte selbst dann noch auf seinem Gesicht, als er wieder neben dem Bett seiner Frau saß und seine Tochter in der Wiege betrachtete.
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4 . Kapitel
T homas Baron of Woodward schob sich ein Stück Fleisch in seinen Mund und ließ den Blick träge über die reichgedeckte Tafel schweifen. An diesem Abend hatte er den Tisch besonders üppig decken lassen. Den ganzen Tag über war er auf der Jagd gewesen und dementsprechend hungrig. So türmten sich vor ihm unzählige Hirschkeulen und Fasane, und auch ein kleines Wildschwein lag mit einem Apfel im Maul auf einer der silbernen Platten.
An den Frauen, die ihm prächtig gekleidet gegenübersaßen, blieb Woodwards Blick hängen. Man konnte meinen, dass er sein Weib betrachten wollte, aber in Wirklichkeit galt sein Interesse eher der Dame, die gleich daneben saß. Ihr Anblick ließ ihn für einen Moment sogar das Kauen vergessen.
Janet Donegal war die Tochter eines verarmten irischen Landadligen, dem es eine Freude gewesen war, sein Kind an den Hof von Thomas zu entsenden. Anfangs war das blasse rothaarige Mädchen dazu ausersehen gewesen, seine Gattin zu bedienen, aber mit der Zeit hatte es sich in eine Schönheit verwandelt, der
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