Fesseln des Herzens
der Kehle stecken. »Aber, Mylady, Ihr könnt doch nicht …«
»Ich kann das nicht von dir verlangen?«, fuhr Nicole sie scharf an. »Ich bin die Herrin dieses Hauses! Deine Herrin. Und ich gebiete dir, dass du mein Leben schützt!«
Mit einer groben Bewegung griff sie nach der Hand der Schäferin. Aimee bemerkte, dass ihre Finger kalt wie die einer Leiche waren. Wie eine Kralle umschloss Nicole ihre Hand.
»Egal wodurch, egal, ob du mir das verbotene Mittel gibst oder zulässt, dass mein Gemahl dich beschläft, ich will nicht noch einmal dem Tod so nahe sein. Also, wofür entscheidest du dich?«
Aimee schwieg, während sie ihren Puls heftig in ihren Schläfen pochen spürte. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf antworten sollte. Wofür sie sich entscheiden sollte. Das Bett des Barons oder der Trank?
Ihre Gedanken begannen wie vom Sturm getrieben durch ihren Kopf zu wirbeln.
Sicher wäre es leicht, den Gelüsten des Barons nachzugeben, zumal sie zugeben musste, dass sie ihn mochte und er ihr auch als Mann gefiel. Doch wieder kam ihr die wegen Hurerei ausgepeitschte Frau in den Sinn. Und der Zweifel, ob Ravencroft sie von seinem Lehen verjagen würde, wenn er ihrer überdrüssig war.
Nicole blickte die Schäferin eisig an. Sie würde sicher nicht von ihrer Forderung abrücken.
»Also gut, ich mische Euch die Kräuter«, entgegnete Aimee vorsichtig, worauf sich die harten Linien auf dem Gesicht der Baronin ein wenig glätteten.
»So ist es recht.«
»Aber ich flehe Euch an, niemandem etwas davon zu sagen.«
»Warum sollte ich das tun?«, entgegnete Nicole. »Wenn es wer erführe, wäre ich nur die Leidtragende. Keine Sorge, Schäferin, ich werde mein Wort nicht brechen.«
Aimee knickste und wandte sich zur Tür. Heftiges Unwohlsein überkam sie beim Verlassen des Gemachs. Würde das Wort der Baronin reichen, um sie vor Ravencrofts Zorn zu schützen? Und was, wenn die Kräuter versagten? Es kam zuweilen vor, dass Frauen trotzdem ein Kind empfingen.
Auf dem Hof, den sie mit raschen Schritten überquerte, kamen Aimee der Baron und Henry Fellows entgegen. Sie trugen noch immer ihre wattierten Wämser und schienen sich dazu entschlossen zu haben, die Fechtstunde nach draußen zu verlegen.
Die junge Frau sank in einen tiefen Knicks.
»Sieh an, unsere Schäferin ist wieder hier«, bemerkte der Baron lächelnd. »Wie ist es dir in den vergangenen Tagen ergangen?«
»Gut, Mylord. Die Schafe sind mittlerweile geschoren und frieren auf der Weide.«
»Na, dann wirst du wohl nicht allzu schnell wieder zurückmüssen, oder?«, gab Ravencroft zurück und hob mit der rechten Hand ihr Kinn an. »Schließlich lauern da draußen so einige Gefahren.«
»Bislang bin ich damit gut zurechtgekommen«, entgegnete Aimee.
»Was würdest du tun, wenn Woodwards Männer plötzlich bei dir aufkreuzen? Immerhin bist du allein dort unten am See. Niemand würde dir zur Hilfe kommen.«
»Ich habe meine Hunde«, antwortete die Schäferin und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass kalte Schauer über ihren Rücken jagten.
»Auch deine Hunde sind machtlos gegen Stahl«, entgegnete der Baron. »Ich will auf keinen Fall, dass meine Tochter ihre Kinderfrau einbüßt, weil ihr die Schafe wichtiger sind.«
Die Männer in seinem Gefolge lachten auf.
Aimee konnte Ravencroft ansehen, dass es ihm nicht allein um die Bedürfnisse seiner Tochter ging, doch sie drängte diesen Eindruck beiseite.
»Ich weiß mich durchaus gegen Stahl zu verteidigen!«, sagte sie schroff und entzog sich ihrem Herrn. »Gebt mir einen Stock und lasst mich gegen einen Eurer Männer antreten.«
Der Baron blickte sie überrascht und gleichzeitig belustigt an. »Henry, was meinst du, würdest du dich vor einem Hirtenstab fürchten?«
Der Leibwächter legte die Hand auf seinen Schwertgriff. »Nicht, solange ich mein Schwert bei mir trage.«
»Was aber machst du, wenn dir das Schwert genommen wird?« Ravencroft streckte die Hand aus, was nichts anderes bedeutete, als dass Henry sein Schwert abgeben sollte.
Murrend löste der Leibwächter seinen Schwertgurt und reichte ihn an seinen Herrn weiter.
Aimee zog die Augenbrauen hoch und biss sich lächelnd auf die Unterlippe, dann fragte sie mit heiterer Stimme: »Habt Ihr einen Prügel, Hauptmann?«
Sie war sich der Zweideutigkeit ihrer Worte wohl bewusst und registrierte mit einem breitem Lächeln, wie Henry Fellows unter dem Gelächter seiner Kameraden rot wurde.
Die Augen des Barons
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