Fesseln des Herzens
blitzten gespannt.
»Na Henry, wo hast du ihn denn? Vielleicht bei einem der Mädchen im Dorf gelassen?«, rief einer der umstehenden Wachleute und reichte ihm einen langen, aus weißem Holz gefertigten Kampfstab.
Mit bösem Blick warf der Wachmann ihn zu Aimee, die ihn ohne Schwierigkeit auffing.
»Es ist eigentlich nicht meine Art, gegen eine Frau zu kämpfen«, sagte er mit Blick auf den Baron.
Ravencroft nickte ihm zu. »Nur zu, Henry, zeig unser kleinen Schäferin, was sie befürchten muss, wenn sie weiterhin allein in ihrem Turm bleiben will.« Damit bedeutete der Baron seinen Leuten, ein Stück zurückzutreten. Sie bildeten einen Kreis um die beiden Kontrahenten und warteten gespannt auf das, was gleich geschehen würde.
»Ich bitte um Verzeihung, falls ich dir Schmerzen zufügen sollte«, sagte Fellows, während er ebenfalls einen Stock gereicht bekam.
»Wer sagt denn, dass Ihr das tun werdet?«, gab Aimee zurück. »Immerhin könnte ich Euch genauso gut verletzen.«
Der Hauptmann lächelte spöttisch. »Du magst vielleicht gegen einen Wolf ankommen, aber gewiss nicht gegen mich!«
»Das werden wir sehen«, entgegnete die junge Frau. »Fangen wir an!«
Der Gardist und die Schäferin umrundeten sich lauernd. Schon lange hatte Aimee nicht mehr gegen einen Mann gekämpft. Das letzte Mal lag ein paar Jahre zurück. Bei dem Angreifer hatte es sich um einen Hausierer gehandelt, der in ihr leichte Beute gesehen hatte. Die Schäferin hatte ihm eine Tracht Prügel verpasst, dass ihm Hören und Sehen vergangen war. Danach hatte er sich nicht wieder blicken lassen.
Henry Fellows war freilich etwas anderes. Bei ihm musste sie sich vorsehen, denn er hatte schon viele Kämpfe durchgestanden.
Mit einem wütenden Schrei stürzte er auf sie zu. Aimee wich den ersten Hieben geschickt aus, dann begann sie, die nachfolgenden Schläge zu parieren. Obwohl Henry kein Schwert mehr in der Hand hielt, änderte er seine Kampftaktik nicht, und nachdem die Schäferin einige weitere Schläge abgefangen hatte, versetzte sie ihm zwei rasche Stöße in die Seiten.
»Teufel noch eins!«, fluchte er, als ihm ein Rippenschlag die Luft aus den Lungen presste.
»Was ist?«, höhnte Ravencroft im Hintergrund. »Bist du schon müde?«
Henry warf Aimee einen zornigen Blick zu. »Ich weiß, war-um du noch keinen Mann hast«, zischte er so leise, dass nur sie es hören konnte. »Du verprügelst alle, die dir zu nahe kommen.«
»Wenn der Richtige des Weges kommen würde, ganz gewiss nicht«, entgegnete Aimee, während sie Henry nicht aus den Augen ließ. Sie spürte, dass er sich zurückhielt. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte er ihr sicher keine Pause gegönnt.
Schließlich wagte er einen erneuten Vorstoß. Diesmal waren die Schläge heftiger, und nun handhabte er den Stock auch nicht mehr wie ein Schwert. Er fasste ihn an beiden Enden, und nur ihre Geschicklichkeit bewahrte Aimee davor, dass sie von der Wucht seiner Hiebe umgerissen wurde.
Der Kampf dauerte eine Weile und war bisweilen derartig heftig, dass der Sand unter ihren Füßen aufwirbelte und den Hof in eine graue Staubwolke hüllte.
Obwohl die Schäferin Henry von der Kraft her unterlegen war, schaffte sie es immer wieder, ihn zu treffen, was Fellows’ Kameraden jedes Mal mit einem schadenfrohen Johlen quittierten.
Nachdem der Hauptmann einen harten Stoß in die Magengrube einstecken musste, der ihn erneut zum Einhalten nötigte, warf er seine Waffe weg und griff nach Aimees Stock. Mit beiden Händen umfasste er ihn, als seien sie aus Stahl, und er war drauf und dran, ihn ihr aus den Händen zu reißen. Doch Aimee entsann sich einer Finte, die ihr Vater einmal angewandt hatte, um einen Räuber zu Boden zu zwingen. Sie stieß Henry einen Fuß in Leistengegend und warf sich nach hinten. Dagegen konnte er nichts ausrichten, und der Stock hebelte ihn regelrecht aus. Mit einem kurzen Aufschrei landete der Leibwächter hinter ihr im Sand.
Aimee sprang mit der Wendigkeit einer Katze auf und stürzte sich auf ihren Angreifer. Den Stock legte sie quer über seine Brust und drückte ihn mit beiden Knien herunter.
»Gebt Ihr auf, Henry?«, fragte die Schäferin durch die amüsierten Rufe der Männer hinter ihnen.
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, oder?«, fragte er wütend.
Aimee gab ihn frei und reichte ihm die Hand. »Verzeiht mir bitte, ich wollte Euch nicht verärgern.«
»Nun, Henry, ich glaube, wir müssen ein Weib für dich finden, damit du üben kannst«, sagte
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