Fesseln des Herzens
das Kind geboren wurde. Warum verlangte er sein eheliches Recht schon so früh?
Der Baron schien ihre Gedanken lesen zu können, und nachdem sich ihre Blicke einen Moment lang getroffen hatten, wandte er sich ab. Scham wütete plötzlich in seinem Verstand. Bin ich denn ein Tier, das sein Weib zwingen muss?
Eigentlich hätte er Aimee fortschicken und dann nehmen können, was ihm rechtmäßig zustand.
Aber er tat es nicht.
Nicole verbarg sich hinter dem Vorhang des Himmelbettes.
Noch immer konnte Aimee den Blick nicht von der Szene lassen. Schuldgefühle überkamen sie, ohne dass sie wusste, was sie hätte tun können, um dies hier zu verhindern.
Schließlich vernahm sie einen Zischlaut von der Seite, der sie aus ihrer Lähmung aufschreckte. Celeste war immer noch da, und jetzt mahnte sie Aimee, sich zurückzuziehen. Was in diesem Raum vor sich ging, hatte sie nicht zu interessieren. Sanft drückte sie die schwere Tür ins Schloss.
Zusammen mit der Kammerfrau machte sie sich wieder auf den Weg zur Kinderstube der kleinen Baroness. Das Kind war, unbeeindruckt von den Ereignissen nebenan, seelenruhig eingeschlafen.
Aimee begab sich augenblicklich wieder zur Wiege.
»Willst du denn nicht ruhen?«, fragte Celeste erneut.
Die Schäferin schüttelte den Kopf. Sie wollte die Kinderstube nicht verlassen und dabei womöglich dem Baron über den Weg laufen. Sie würde es nicht über sich bringen, ihn anzusehen.
»Nein, Celeste, ich bleibe hier und wache über das Kind. Dir eine gute Nacht.«
Die Kammerfrau neigte den Kopf und zog sich zurück.
Aimee betrachtete noch einmal das friedliche Kindergesicht, dann richtete sie ihren Blick aus dem Fenster.
Was soll ich tun?, fragte sie die Sterne, die am Himmel glitzerten, und den Wind, der um die Burg raunte und die Vorhänge ein wenig blähte.
Eine Antwort erhielt sie allerdings nicht.
Nicole sah dem Baron mit flammendem Blick hinterher, als er ihr Gemach verließ. Doch nur so lange, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
Dann flammte ein Lächeln auf ihrem Gesicht auf. Sie konnte nicht glauben, dass es gewirkt hatte. All die Wochen und Monate hatte sie sich gefragt, was sie tun müsste, um ihren Gatten aus ihrem Bett fernzuhalten. Schwäche hatte sie vorgetäuscht und Unwohlsein. Wie sie jetzt sehen konnte, reichte es bereits, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Jeder andere hätte sie gewiss nach Strich und Faden verprügelt. In gewissem Sinne hätte sie das auch von ihm erwartet, aber offenbar war er noch schwächer, als sie vermutet hatte.
Mochte er auch in den Kreuzzug geritten sein, die Zeit in den Kerkern der Mamelucken hatte ihm offenbar einen großen Teil seiner Durchsetzungskraft genommen.
Vielleicht kann ich das zu meinem Vorteil nutzen!, dachte sie, und während sie unruhig auf und ab ging, wirbelten die Gedanken wie von einem Sturm gepeitscht durch ihren Kopf.
Ich bin noch jung, zu jung, um mein Leben an der Seite dieses Mannes zu vergeuden. Ich könnte als Herrin über diese Baronie herrschen, allein und mit einem Mann in meinem Bett, den ich begehre. Bislang mag sich Henry noch zieren, aber ich spüre, dass er mich will. Was, wenn ich nun den Grund seiner Zurückhaltung beseitige?
Nicole war sich natürlich darüber im Klaren, dass der Leibwächter seinen Herrn nicht so ohne weiteres verraten würde. Aber wenn er nun erführe, dass ihr Gemahl versucht hatte, ihr Gewalt anzutun?
Unsicherheit überkam sie plötzlich. Was, wenn Henry nicht mitspielte? Wenn er sich trotz allem nicht einspannen ließ in ihren Plan? Wen sollte sie sich dann als Verbündeten suchen?
Der Baron of Woodward kam ihr wieder in den Sinn. Obwohl sie damals einen erschrockene Miene aufgesetzt hatte, hatte sie der Auftritt amüsiert. Schon damals hatte sie sich gefragt, ob die Feindschaft zwischen ihm und Ravencroft eines Tages nützlich sein könnte. Sie hatte an einen Feldzug gedacht, den die beiden gegeneinander führen könnten. Vielleicht war dieser Gedanke gar nicht einmal so abwegig.
Während ihr Blick einen triumphierenden Ausdruck annahm, erhob sie sich, von Hoffnung erfüllt, von ihrem Schlaflager.
Nebenan begann ihre Tochter zu schreien, offenbar hatte der Tumult das Mädchen aus dem Schlaf gerissen.
Allerdings verspürte Nicole kein Bedürfnis, ins Nachbarzimmer zu gehen. Sie wusste, dass die Amme und Aimee da waren, um die Kleine zu trösten.
Ruhelos schritt sie vor dem Fenster auf und ab. Alles in ihr drängte danach, zu Henry zu eilen, aber ihre
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