Fesseln des Herzens
ob er die Wahrheit sprach.
In Ravencroft stieg das unbändige Verlangen auf, sie zu küssen und sie dann wie eine Kriegsbeute in sein Gemach zu tragen, um sie wieder und wieder zu lieben.
Doch als Schritte ertönten, ließ der Baron sie los. Seine Gefühle machten ihn fast wahnsinnig, und er meinte nun wieder die Stimme seines Schwiegervaters zu hören, der ihn davor warnte, sich zu verlieben. Tat er das gerade? Oder trug das Begehren lediglich die Maske der Liebe?
»Du musst mir glauben, Aimee«, beschwor er sie. »Ich will nicht, dass du mich für einen dieser Männer hältst, die sich mit Gewalt nehmen, was sie haben wollen. Ich habe während des Feldzugs durch das Heilige Land etliche Greuel erlebt. Soldaten, die über wehrlose Frauen hergefallen sind, sie vergewaltigt und anschließend getötet haben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen tiefen Ekel das in mir ausgelöst hat! Vielleicht würden mich andere verlachen, aber ich würde das niemals einem Weib antun! Nicht meinem eigenen und auch keinem anderen.«
Darauf antwortete Aimee nicht. Während ihr Verstand nach einem Ausweg aus dieser Situation suchte, schloss sie die Augen und sagte dann: »Verzeiht, Mylord, die Amme erwartet mich bereits bei Eurer Tochter.«
Ravencroft stieß ein unwilliges Schnaufen aus. »Also gut, geh zu ihr!«, entgegnete er unwirsch und wirbelte herum.
Die Schäferin fiel in einen tiefen Knicks und wartete so lange, bis seine zornigen Schritte verhallt waren.
Als er fort war, erhob sie sich wieder und strebte der Kinderstube zu. Das Blut pochte ihr in den Schläfen, und sie hatte Mühe, ihre Tränen im Zaum zu halten. Sie wollte ihm so gern glauben, aber nach dem, was sie gesehen hatte, konnte sie es nicht. Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn sie dem Baron von nun an aus dem Weg ging und über alles nachdachte.
Nachdem Aimee gegangen war, erhob sich Nicole flink von ihrem Lager, kroch unter ihr Bett und holte ein Pergament, eine Feder und ein Tintenfass hervor, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, für den Fall, dass sie ihrem Vater oder ihren Schwestern eine geheime Nachricht zukommen lassen wollte.
Bislang war das nicht nötig gewesen, und auch jetzt hatte Nicole anderes im Sinn. Ihr Vater hätte über das Verhalten des Barons sicher nur gelächelt und dann gemeint, dass sie sich längst an die Pflichten einer Ehefrau gewöhnt haben sollte. Und der Verrat, den sie plante, ging ihn erst recht nichts an.
Eigentlich war es nicht schicklich für eine Edeldame, das Schreiben zu beherrschen, und Nicole hatte es ihrem Gemahl gegenüber nie erwähnt. Schon von Kindesbeinen an hatte sie darauf gebrannt, Schriftstücke selbst lesen und verfassen zu können. In ihrem Dorf hatte es einen Mönch gegeben, der des Schreibens kundig gewesen war. Diesen hatte sie mit großer Hartnäckigkeit und einigen gestohlenen Goldmünzen davon überzeugt, dass es nützlich war, sie zu unterrichten.
Nicole breitete ihr Schreibzeug auf dem Tisch aus und machte sich an die Arbeit.
Viel Gelegenheit, ihre Fähigkeit zu üben, hatte sie in letzter Zeit nicht gehabt, aber als sie den ersten Federstrich zog, wusste sie genau, dass sie nichts vergessen hatte. Der Wortlaut des Schreibens wollte gut überlegt sein. Sie musste Woodward ködern, ohne ihm zu viel zu versprechen. Zudem mussten ihre eigenen Rechte und die ihres Kindes gewahrt bleiben, ohne dass der Baron Abstand von ihrem Ansinnen nahm.
Sie brauchte lange, bis sie das erste Wort zu Papier brachte. Obwohl sie sich ihres Ansinnens sicher war, zitterten ihre Hände, und das Letzte, was das Schreiben verraten sollte, war ihre Unsicherheit.
Als sie jedoch erst einmal angefangen hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihr hervor. Während die Feder diese Worte mit einem leisen Kratzen auf das Pergament brachten, kam Nicole in den Sinn, dass Henry unbedingt ein Teil ihres Plans werden musste.
Als der Abend über der Burg heraufzog, fühlte sich George of Ravencroft so elend wie schon lange nicht mehr. Die Tatsache, dass Aimee ihm nicht zu glauben schien, hatte ihn schlimmer getroffen als ein Schwertstreich, und noch immer schmerzte die Wunde in seinem Herzen.
Nachdem er beinahe den ganzen Tag in seinen Gemächern verbracht hatte und auch in den Kampfübungen keine Ablenkung gefunden hatte, stand er nun am Fenster. Obwohl er es sich selbst nicht eingestehen wollte, wartete er darauf, die Schäferin zu sehen.
Schritte vom Hof her zogen seine Aufmerksamkeit an. Eigentlich
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