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Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
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dass Noah rasch verschwinden würde. Aber Charlotte war schneller. «Ich habe es mir überlegt, ich werde doch einen Spaziergang machen», verkündete sie unschuldig und stand energisch auf. «Noah!»
    «Ja, Miss Charlotte?», fragte der Sklave misstrauisch.
    «Ich möchte einen Spaziergang machen. Nimm den Sonnenschirm.»
    Noah zögerte. In fünf Minuten musste er auf den Feldern sein, wagte es aber nicht, Charlottes Befehl zu missachten.
    «Worauf wartest du?», wiederholte Charlotte und mied bewusst den vorwurfsvollen Blick ihrer Schwester.
    Gerade als Noah näher kam und die Hand ausstreckte, um Charlottes Befehl zu gehorchen, gab sie dem Schirm einen kleinen Tritt, und er fiel zu Boden.
    Verärgert ließ Latoya die Arbeit sinken und beobachtete ihre junge Herrin. Es war unvorstellbar, dass sie diese arrogante junge Frau seit so vielen Jahren mit ihrem Schweigen schützte. Von den vier Sklaven, die Bescheid wussten, war nur noch sie übrig, dachte sie voll Bitterkeit, als sie jetzt instinktiv die schmale Narbe in der Handfläche berührte und sich an ihre verlorenen Freunde erinnerte.
    Gerade hatte Noah sich nach dem Schirm gebückt, als Katherine auf der Veranda erschien. «Du kannst gehen, Noah.»
    Sofort gehorchte der Sklave. Er lehnte den Sonnenschirm an die Wand und verschwand.
    Charlotte wagte nicht, sich umzudrehen. Der kurzangebundene und scharfe Tonfall der Mutter kündigte Ärger an.
    «Hortensia, Latoya, lasst uns bitte allein.»
    Diskret zogen die beiden sich in die Küche zurück. Charlotte wollte ihnen folgen, aber ihre Mutter hielt sie fest. «Du nicht, Charlotte. Ich will mit dir reden.»
    Ernst blickte Katherine ihre Tochter an. «Du enttäuschst mich.»
    «Ich habe nichts getan. Ich wollte nur einen Spaziergang machen.»
    «Lüg mich nicht an, Charlotte! Du wolltest nichts weiter, als Noah demütigen.»
    «Und wennschon!», brach es heftig aus ihr heraus. «Er ist nur ein Sklave! Und du behandelst ihn, als wäre er der Herr der Plantage.»
    «Das stimmt nicht, Charlotte, und das weißt du.»
    «Sag mir eins, Mutter. Warum hast du ihm das Lesen beigebracht?»
    «Aus welchem Grund hätte ich das nicht tun sollen?»
    «Weil es gesetzlich verboten ist, Mutter. Es ist gefährlich, wenn die Sklaven vergessen, wo sie hingehören. Oder hast du vielleicht Nat Turner vergessen? Wenn eines Tages herauskommt, was du getan hast, wird man dich bestrafen, und ihn auch.»
    «Ah, jetzt verstehe ich.» Katherine nickte sarkastisch. «Du hast dich also zur Beschützerin der Weißen aufgeschwungen.»
    «Irgendjemand muss das ja tun, wenn Papa nicht da ist. Ich werde nicht den gleichen Fehler machen wie du!»
    Charlotte war kein Kind mehr. In Kürze würde sie achtzehn Jahre alt werden, und Katherine hätte kaum noch Einfluss auf ihre Tochter. Und leider setzten diese Ideen sich auf gefährliche Weise in ihrem Kopf fest. Katherine wusste nicht mehr, was sie noch tun könnte.
    «Was habe ich falsch gemacht, Charlotte? Warum willst du nicht verstehen?»
    «Du bist diejenige, die nicht versteht.»
    «Was verstehe ich denn nicht, Charlotte?»
    «Du kennst die wahre Natur der Sklaven nicht.»
    «Was weißt du denn von ihrer wahren Natur, Charlotte? Hast du einmal darüber nachgedacht, wie hart ihr Leben ist? Weißt du, was es für einen intelligenten Jungen wie Noah bedeutet, ein Sklave zu sein?»
    Charlotte schwieg. In gewisser Weise hatten Noahs Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe sie wirklich überrascht, obwohl sie lieber zehn Peitschenhiebe in Kauf genommen hätte, als das zuzugeben.
    «Glaubst du etwa, du beweist Mut, wenn du einen Menschen demütigst, der sich nicht verteidigen kann? Ich hätte dich für couragierter gehalten. Und pass auf, Charlotte», warnte Katherine ihre Tochter, «wenn du so weitermachst, wird aus dir eine arrogante und egoistische Frau. Ohne jedes Mitleid.»
    «Er ist nur ein Sklave!»
    «Ein Sklave», wiederholte Katherine ungehalten. «Was weißt du schon von ihm, von seinem Leben, seinen Wünschen? Glaubst du etwa, dass er nicht leidet, dass er nicht lacht? Dass er keine Träume hat? Nur sind seine Träume unerreichbar.»
    Voller Trauer sah Katherine ihre Tochter an. Charlotte wurde ihrem Vater immer ähnlicher, und nur sie allein war daran schuld. Sie hatte versagt. Es wäre besser gewesen, wenn sie David verlassen hätte und weit weg gegangen wäre. Irgendwohin, wo diese Welt, bestehend aus Herren und Sklaven, keinen Einfluss mehr hatte. Sie hatte wahrlich kein Recht, ihre Tochter

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