Fesseln des Schicksals (German Edition)
zu tadeln.
Eigentlich hatte Charlotte erwartet, dass ihre Mutter sie bestrafen oder ihr wie sonst bis zum bitteren Ende widersprechen würde. Diesmal aber seufzte sie nur und ging. Sie gab sich geschlagen.
Genau aus diesem Grund hatte der Streit Charlotte mehr als sonst mitgenommen. Sie überlegte ernsthaft, ihre Mutter um Verzeihung zu bitten, doch der unerwartete Besuch von Rebecca Sebastian hielt sie davon ab. Es gab überraschende Neuigkeiten.
Richard Reemick würde zurückkommen!
Richards Vater hatte einen leichten Herzanfall erlitten, und obwohl Mr. Reemick sich rasch wieder erholte, hatte man Richard Sonderurlaub gewährt.
Seit dem Hochzeitsfest ihrer Cousine Silvia waren fast vier Jahre vergangen, und Charlotte wusste nicht einmal, ob Richard sich überhaupt noch an sie erinnerte. Längst war sie nicht mehr das kleine vierzehnjährige Mädchen im geblümten Kleid. Sie war zu einer Frau herangewachsen und konnte es kaum abwarten, ihm das zu beweisen. Das Einzige, was sie brauchte, war eine Gelegenheit, und zwar bald. Denn wenn es stimmte, was Rebecca erzählt hatte, würde Richard nach nur wenigen Tagen nach Annapolis zurückkehren.
***
Als ihre Tochter am nächsten Morgen schon um acht Uhr früh in Reitkleidung im Esszimmer erschien, stutzte Katherine.
«Guten Morgen, Mama», grüßte Charlotte und gab ihr einen lauten Kuss auf die Wange.
«Guten Morgen, Charlotte. Darf man erfahren, wo du schon so früh hinwillst?»
Ohne sich hinzusetzen, nahm Charlotte sich ein knuspriges Brötchen und biss hinein.
«Ich werde ausreiten.»
«So früh schon?»
«Ich konnte nicht mehr schlafen.»
«Und Hortensia?»
«Sie wird später herunterkommen. Du weißt ja, dass sie nicht gerade eine Pferdenärrin ist.»
In diesem Moment erschien Latoya in der Tür, die das Esszimmer mit dem Dienstbotentrakt verband. Sie trug einen Korb mit Äpfeln. «Guten Morgen, Miss Charlotte.»
«Morgen», antwortete Charlotte gut gelaunt und stibitzte sich einen der glänzenden Äpfel.
«Ich bringe Ihnen sofort die Schokolade, Miss.»
«Nicht nötig. Ich werde heute nicht frühstücken.»
Katherine und die Sklavin warfen sich einen Blick zu. Das wäre das erste Mal, dass Charlotte eine Tasse Schokolade ablehnte.
«Geht es dir auch gut?»
«Ja, Mama», antwortete sie, vermied aber, ihrer Mutter in die Augen zu sehen. «Ich möchte nur nicht, dass es zu spät wird.»
«Wie du möchtest. Und denk daran, dass deine Cousine Silvia und ihr Mann heute zum Mittagessen kommen. Sie sind gerade bei deinem Onkel zu Besuch. Ich wäre dir dankbar, wenn du pünktlich zurück bist.»
Vor dem Haus wartete schon ein Sklave mit dem Pferd. Obwohl sie selbst den Befehl gegeben hatte, den Damensattel aufzulegen, verzog sie unwillkürlich das Gesicht. Normalerweise benutzte sie den Herrensattel, und die Vorstellung, seitlich auf dem Pferd zu sitzen, war ihr nicht besonders angenehm. Aber heute wollte sie Eindruck schinden. Trotz aller Unbequemlichkeiten würde sie sich also ausnahmsweise wie eine wohlerzogene junge Südstaatendame benehmen.
Der Sklave bückte sich neben dem Pferd, verschränkte die Hände und wartete, dass Charlotte ihren Fuß hineinsetzen würde, um sich abzustützen. Aber Charlotte hatte nie fremde Hilfe gebraucht, um auf- oder abzusteigen. Sie ignorierte die improvisierte Trittleiter des Sklaven, raffte ihren Rock ein wenig, schob ihren Stiefel in den Steigbügel und saß mühelos auf.
Der Sattel war unbequem und schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein, aber das war es wert. Wie Rebecca nichtsahnend am Vortag beim Tee erzählt hatte, würde ihr Bruder Paul heute früh mit Orante und Richard ausreiten. Und sie hatte sogar gewusst, wohin. Als Charlotte Rebeccas Worte vernommen hatte, hatte sie sich schrecklich zusammennehmen müssen, um nicht vor Glück zu jubeln. Aber schließlich sollte niemand Verdacht schöpfen. Niemand musste wissen, dass sie entschlossen war, Richard Reemick zu heiraten.
Auf dem Gipfel des Hügels angekommen, hielt Charlotte das Pferd an und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen.
Am blauen Himmel war keine einzige Wolke zu sehen, und der Horizont zeichnete sich als deutliche Linie ab. Das Tal war aus dem langen Winterschlaf erwacht und hatte sich mit der Ankunft des Frühlings bunt gefärbt. Charlotte atmete tief ein. Milder Duft nach Lavendel und Lorbeer lag in der Luft. Es war ein wunderschöner Tag. Endlich würde sie Richard nach all den Jahren wiedersehen.
Glücklich betrachtete sie
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