Fesseln des Schicksals (German Edition)
würde er zur Akademie zurückkehren, und er musste noch seine Reise vorbereiten.
***
Fast eine Stunde hatte man auf Charlotte gewartet. Dann hatte Katherine beschlossen, mit dem Essen anzufangen.
«Es tut mir so leid, Silvia», entschuldigte sie sich, als sie sich damit abfand, dass ihre Tochter nicht kommen würde.
«Es wird ihr doch nichts passiert sein, Tante?»
Katherine hatte auch daran gedacht. Einen Moment lang stieg die Vorstellung in ihr auf, dass Charlotte vielleicht allein und verletzt irgendwo liegen könnte, und sie verspürte Panik. Aber die Art und Weise, wie Hortensia ihren Kopf über den Teller beugte, beruhigte sie. Anscheinend wusste Hortensia, wo Charlotte war, auch wenn sie das Geheimnis ihrer Schwester niemals preisgeben würde.
«Mach dir keine Sorgen, Silvia. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwann mit einer hübschen Ausrede durch diese Tür kommen wird.»
Als Orante und Charlotte endlich auf New Fortune ankamen, war es zwei Uhr, und das Dessert stand bereits auf dem Tisch. Und genau wie Katherine vorausgesagt hatte, erfand Charlotte eine lächerliche Geschichte von einem Sonnenstich, wo doch gerade mal der Frühling angefangen hatte. Dabei schilderte sie in so schillernden Farben, wie sehr sie unter der Sonne hatte leiden müssen, nachdem sie ihren Hut verloren hatte, dass Silvia beinahe die Tränen in die Augen traten.
«Zum Glück habe ich Orante getroffen», gestand sie schließlich.
«Ja, wirklich ein Glück, dass du ihn zufällig getroffen hast», sagte Katherine, als Charlotte fertig war, und sah ihren Neffen fest an, der sichtlich nervös nickte.
«Nun, nach all den Abenteuern wirst du hungrig sein, Orante. Setzt euch bitte.»
Orante setzte sich neben Hortensia, und Charlotte nahm gegenüber von ihr Platz.
Sofort stellte Darsy, die nach Olivias Tod dem Haus zugeteilt worden war, um Latoya zu helfen, Teller vor die beiden.
«Darsy, Miss Charlotte fühlt sich nicht wohl, sie braucht keinen Teller. Bring ihr bitte einen Tee.»
Charlotte spürte, wie ihr Magen knurrte. Am Morgen hatte sie kaum gefrühstückt und seitdem nichts gegessen. «Ich fühle mich schon viel besser, Mama.»
«Meine liebe Charlotte. Alle Welt weiß, dass man bei einem Sonnenstich nichts essen darf.»
Normalerweise hätte Charlotte protestiert, aber ihre Mutter war wütend. Sie hatte die Entschuldigung nur hingenommen, weil Silvia und ihr Mann anwesend waren.
«Deine Mutter hat recht», mischte Silvia sich ein, noch immer bewegt von Charlottes dramatischer Schilderung.
«Meinetwegen», gab Charlotte schließlich widerwillig nach. «Ein Tee wird genügen.»
Während sich Orante, der sein Grinsen kaum verheimlichen konnte, über die großzügige Portion gegrillten Kaninchens hermachte, blieb Charlotte nichts anderes übrig, als die Nase über den Tee zu halten. So konnte sie wenigstens den leckeren Duft der Speisen vertreiben, der ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Nach dem Essen verabschiedeten sich die Gäste. Es war ein langer Weg bis Heaven’s Door, wo sie noch ein paar Tage bleiben würden, bis es wieder nach Norfolk zurückging.
Kaum waren sie fort, entwischte Charlotte in die Küche und machte sich über die Reste des Kaninchens her.
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N ach Richards Urlaub bemerkte Scott eine kaum wahrnehmbare Veränderung an seinem Freund. Er war gesprächiger. Ständig lächelte er und erlaubte sich sogar manchmal einen Scherz. Zwar machte Richard selbst keine Andeutung in dieser Richtung, aber das war auch nicht nötig. Jeder Idiot hätte gemerkt, dass Richard Reemick sich verliebt hatte.
Es war Samstagnachmittag, und die meisten Studenten des letzten Studienjahrs waren in die Stadt gefahren. Richard hatte darauf verzichtet, sie zu begleiten, und schrieb einen Brief, während Scott, den niemand gebeten hatte mitzukommen, die Zeit für einen ausgedehnten Mittagsschlaf nutzte.
Gerade las Richard noch einmal durch, was er geschrieben hatte, als ein junger Kadett seinen Kopf zur Tür hineinstreckte.
«Richard Reemick?»
«Ja?»
«Du hast Besuch.»
«Ich?»
Der junge Mann nickte. «Er wartet unten.»
Nachdem Richard sich vergewissert hatte, dass die Tinte trocken war, legte er das Geschriebene unter einen Buchdeckel.
«Erwartest du jemanden?», fragte Scott aus seiner Ecke.
«Nein», antwortete Richard, während er seine Uniformjacke zuknöpfte.
«Du weißt nicht vielleicht seinen Namen?», fragte er den Kadetten.
«Ein Steward. Doktor Steward.»
Als Richard den Namen seines
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