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Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
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drehte sich zu ihnen um. «Ich wünsche den Damen einen guten Tag. Ich höre, Sie möchten mich sprechen?»
    Lächelnd stand Charlotte auf und stellte sich und ihre Schwester vor. Dann ergänzte sie: «Es wäre sehr freundlich, wenn wir Ihnen eine Minute Ihrer Zeit stehlen dürften. Es ist sehr wichtig.»
    «Treten Sie doch bitte ein», sagte er mit ruhiger Stimme und hielt ihnen die Tür zu seinem Büro auf.
    Er betrat nach ihnen den Raum und hängte Mantel und Hut an eine Garderobe. Nachdem er ihnen die beiden Stühle vor dem Schreibtisch angeboten hatte, nahm er selbst seinen Platz ein.
    Es war unmöglich zu erraten, was im Kopf des Dekans vorging. Breite Koteletten gingen in einen dichten, ergrauten Oberlippenbart über. Nur sein Kinn war sorgfältig rasiert. Er nickte ihnen auffordernd zu. «Womit kann ich Ihnen dienen?»
    «Zuerst einmal möchten wir Ihnen von Herzen danken, dass Sie uns empfangen», begann Charlotte. Jedes ihrer Worte war mit Bedacht gewählt. «Ich bin mir vollauf bewusst, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, und ich verspreche Ihnen, dass wir uns kurz fassen. Vor ein paar Monaten haben Sie die Bewerbung eines fähigen jungen Mannes abgelehnt», sprach sie weiter.
    Auch wenn im Gesichtsausdruck des Dekans nicht die geringste Veränderung zu sehen war, merkte man doch an der Art, wie er seine Manschetten glatt strich, dass er sich zu wappnen schien.
    «Es handelt sich um einen intelligenten und fleißigen jungen Mann», erklärte Charlotte, «und ich kann Ihnen versichern, dass er großes Talent für den Arztberuf hat. Wenn Sie vielleicht noch einmal über eine Aufnahme nachdenken könnten.»
    «Ich verstehe, junge Dame», nickte der Dekan gnädig. «Leider fürchte ich, dass ich nichts unternehmen kann. Wenn der Antrag abgelehnt wurde, dann muss der junge Mann es im nächsten Jahr noch einmal versuchen.»
    «Aber das wird nicht reichen», gab Charlotte etwas schärfer zurück. «Es ist egal, wie oft er es versucht oder wie begabt er ist. Sein Problem wird immer das gleiche sein.»
    Die Leidenschaft in diesen Worten überraschte den Dekan. Fragend sah er Charlotte an.
    «Es tut mir leid», sagte Charlotte und stand auf. «Ich habe gedacht, wenn wir mit Ihnen sprechen … Ich dachte, Sie sind ein gerechter Mann und dass man an diesem Ort nach der Wahrheit strebt. Aber ich habe mich wohl geirrt. Langsam begreife ich, dass die schönen Worte über die Gleichheit der Menschen nicht viel bedeuten. Ich dachte, hier wären die Dinge anders. Aber es ist wohl nicht besser als im Süden. Hortensia, wir gehen.»
    Hortensia, der dieses ganze Gespräch unangenehm war, sprang schnell auf und lief ihrer Schwester nach.
    Auch der Dekan erhob sich.
    «Warten Sie», sagte er, «wie war der Name des jungen Mannes noch gleich?»
    «Noah. Noah Lacroix.»
    Er sah sie an.
    «Er ist unser Bruder», erklärte Charlotte stolz.
    Stumm forderte der Dekan die beiden auf, sich wieder zu setzen. Dann öffnete er die Tür seines Büros und rief dem Sekretär zu, dass er ihm die Akte eines gewissen Noah Lacroix bringen solle. Kurz danach reichte der Angestellte die Papiere herein.
    Der Dekan holte das einzige Blatt heraus, das sich in der Akte befand, und murmelte: «Männlich, Virginia, zweiundzwanzig Jahre …» Er benötigte ein paar Minuten und legte den Antrag dann auf den Tisch.
    «Es tut mir wirklich leid, aber leider ist der Antrag vollkommen zu Recht abgelehnt worden.»
    «Ich verstehe, also ist seine Hautfarbe das Problem.»
    Erstaunt blickte der Dekan auf.
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Ist es denn etwa nicht so?», gab Charlotte zurück.
    Der Dekan wirkte immer überraschter.
    «Um Himmels willen!», rief er aus. «Die Hautfarbe des Mannes ist mir gar nicht bekannt. Ich dachte, es handelt sich um Ihren Bruder.»
    «So ist es auch, er ist unser Halbbruder. Seine Mutter war eine Sklavin.»
    Charlottes Geständnis schien den Dekan nicht zu beeindrucken.
    «Miss Lacroix, Sie sollten wissen, dass wir stolz darauf sind, an unserem Institut nicht nur Weiße auszubilden», erklärte er, ein wenig in seiner Ehre gekränkt. «Mehrere schwarze Männer haben hier bereits ihren Abschluss erlangt.»
    «Aber», sagte Charlotte verwirrt, «warum haben Sie Noahs Bewerbung dann abgelehnt?»
    «Weil er keinerlei Ausbildung nachweisen kann. Wenn man seiner Bewerbung Glauben schenken darf, hat er nicht einmal eine Schule besucht. Es gibt keine Empfehlungsschreiben, gar nichts …»
    Doch Charlotte gab sich noch nicht

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