Fesseln des Schicksals (German Edition)
Kopf.
«Verzeih mir», sagte sie. «Ich weiß, diese ist anders als die, die ich kaputt gemacht habe, aber ich hoffe, sie gefällt dir trotzdem. Außerdem ist sie eigentlich viel hübscher, und es ist auch noch etwas darin.» Jetzt blickte Charlotte Noah an, und er lächelte ihr zu.
Als er den Deckel abnahm, ergriff er das erste Buch und las den Titel. « Latein. Grammatik und Übungen. Hört sich interessant an», sagte er zweifelnd. Dann sah er, dass auch alle anderen Bücher nicht viel unterhaltsamer wirkten.
Charlotte und Hortensia sahen sich an und kicherten. Sie wirkten so glücklich, also gab er sich Mühe, so zu tun, als würde er sich freuen. Leider war er alles andere als ein guter Schauspieler.
«Freust du dich?», fragte Hortensia aufgeregt.
«Es ist ein wundervolles Geschenk.»
«Du ahnst nicht, wie schwierig es war, diese Bücher zu bekommen», fuhr Hortensia fort. «Wir mussten alle Buchhandlungen in Cambridge durchwühlen, Noah. Das Mathematikbuch hat Charlotte einem jungen Mann geradezu aus der Hand gerissen.»
«Ihr hättet euch nicht solche Mühe machen sollen.»
«Aber natürlich mussten wir das!», rief Charlotte aus. «Wie willst du dich sonst auf die Prüfung vorbereiten?», fügte sie mit einem arglistigen Funkeln ihrer grünen Augen hinzu.
«Was für eine Prüfung?»
Nachdem sie Charlotte einen kurzen Blick zugeworfen hatte, platzte Hortensia mit dem Geheimnis heraus: «Die Prüfung, die du ablegen musst, um an der medizinischen Fakultät aufgenommen zu werden!» Sie ließ einen kleinen Freudenschrei hören.
«Wie?»
«Genau so ist es!», bekräftigte Charlotte.
«Aber das kann nicht sein», sagte Noah.
Hortensia nickte.
«Ich verstehe nicht. Ich dachte …»
«Wir haben das auch gedacht! Aber wir haben uns wohl geirrt», erklärte Charlotte. «Anscheinend ist es ihnen vollkommen egal, dass du ein bisschen brauner bist als die meisten ihrer blassen Studenten. Sie nehmen nur keine Dummköpfe an der besten amerikanischen Universität an. Also musst du erst eine Prüfung ablegen.»
Schweigend versuchte Noah, diese Neuigkeit zu verarbeiten.
«Dafür sind die Bücher, Noah», erklärte Hortensia. «Der Dekan hat gemeint, dass du die Prüfung problemlos bestehen kannst, wenn du lernst, was in diesen Büchern steht.»
«Ich …», stotterte Noah, während ihm die Tränen in die Augen schossen. «Danke!», sagte er und drückte sich die Bücher an die Brust.
An diesem Heiligabend gingen sie erst im Morgengrauen schlafen. Die ganze Nacht lang redeten sie, sangen Weihnachtslieder, lachten und weinten. Schon lange waren sie nicht mehr so glücklich gewesen.
Am nächsten Tag kündigte Noah seine Stelle. Charlotte war mehr als zufrieden. Schließlich hatte sie ihren Kopf durchgesetzt.
· 27 ·
D ie Räder der Kalesche wollten sich einfach nicht mehr drehen. Der Kutscher versuchte noch ein weiteres Mal, die Steigung anzugehen, aber es war zwecklos. Es hatte gefroren, und die Straße war zu einer Eisbahn geworden.
«Lassen Sie es gut sein. Ich gehe zu Fuß weiter», sagte Brian dem Kutscher.
«Es tut mir leid, Sir.»
Brian wartete, dass der Mann ihm die Tür öffnete, und stieg aus dem Wagen.
Zwar hatte er nicht gewusst, in welcher Ecke von Fort Hill die Adresse lag, die er suchte, aber er hätte doch niemals erwartet, dass sie sich in diesem guten Wohnviertel befand. Er hätte eher angenommen, dass er auf der anderen Seite des Hügels suchen musste, wo sich Immigranten und entlaufene Sklaven eine Bleibe suchten.
«Sind Sie sicher, dass es hier ist?», fragte Brian noch einmal nach, als er die soliden roten Backsteinhäuser in der gepflegten Straße betrachtete.
«Ganz sicher, Sir.»
Zweifellos hatte sein Informant sich geirrt, dachte Brian entmutigt.
Nun, die Adresse, die er von dem Polier bekommen hatte, der sich um die Arbeiten in der Back Bay kümmerte, war die einzige Spur, die er hatte. Wenigstens gab es die Straße überhaupt, sagte er sich und ging los.
Schon nach zwanzig Schritten hatte er gefunden, was er suchte. Brian stand vor dem Haus mit der Nummer vier. Das Haus war zwar keine Villa, aber doch ein solides Backsteingebäude mit zwei Etagen, das wahrscheinlich vor nicht allzu langer Zeit erbaut worden war. Die Fensterläden waren kürzlich gestrichen worden, und in den Fenstern zu beiden Seiten der Tür standen hübsche grüne Blumentöpfe mit rosaroten Geranien.
Noch einmal überprüfte Brian die Hausnummer und betätigte dann den glänzenden
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