Fesseln des Schicksals (German Edition)
Vergnügen.»
Die Musiker, die während des Abendessens eine Ruhepause eingelegt hatten, erfüllten die Luft erneut mit Melodien, als die Gäste in den Salon traten. Trotzdem wurde nicht getanzt. Man stand in kleinen Grüppchen beieinander und plauderte.
Raymond O’Flanagan setzte sich in den Sessel vor dem Kamin und zündete sich eine weitere Zigarre an, ohne darauf zu achten, ob der Rauch jemanden stören könnte.
«Da sehen Sie, von wem ich meine Manieren geerbt habe», flüsterte Scott Charlotte zu. Gerade wollte sie etwas darauf erwidern, als er ihr zuvorkam. «Und wenn es Ihnen nichts ausmacht – schließlich möchte ich Ihre Erwartungen nicht enttäuschen –, bin ich weiterhin unhöflich und lasse Sie hier zurück, während ich meine bewundernswerten Verwandten begrüße. Sie werden sicher zurechtkommen, jetzt, wo Sie so viele Freunde gewonnen haben.»
Mit einem unverschämten Augenzwinkern verabschiedete sich Scott und ließ sie stehen.
«Dieser Trottel», schimpfte Charlotte, als Hortensia mit Mr. Fuentes auf sie zukam.
«Geht es dir gut?», fragte Hortensia.
«Ja. Aber dieser Mann macht mich wahnsinnig», sagte sie. «Ich verstehe nicht, wie Brian sein Bruder sein kann.»
«Wissen Sie, obwohl Brian Jura studiert hat, Mitglied des Regierungskabinetts ist und in Zukunft wahrscheinlich eine wichtige Rolle in der Politik des Landes spielen wird, ist Scott doch einer der besten Anwälte Bostons.»
«Anwalt?»
«Wussten Sie das nicht? Ich dachte, wo Sie sich doch kennen … Seit er letztes Jahr in Harvard den Abschluss gemacht hat, hat er keinen Fall verloren.»
«Nicht zu fassen», dachte Charlotte laut.
Scott setzte sich gerade zu seinem Vater.
«Ich verstehe nicht, warum sie überhaupt noch miteinander reden», sagte Josephine, die sich aus unerfindlichen Gründen zu den Schwestern und Mr. Fuentes gestellt hatte.
«Scott ist ein guter Junge», verteidigte ihre Tochter Ursula ihn.
«Guter Junge!», wiederholte ihre Mutter verächtlich, die auf keinen Fall wollte, dass ihre Tochter mehr als brüderliche Liebe für ihren Cousin entwickelte. «Scott war immer ein Rebell, und Manieren hat er auch keine. Er hat sich nie um den guten Namen der Familie gekümmert. Hast du etwa vergessen, dass er von der Marineakademie geflogen ist? Was für eine Schande für uns alle!», rief sie erregt aus.
«Ich wusste gar nicht, dass er in Annapolis studiert hat», sagte Charlotte, die jetzt verstand, wo Richard und Scott Freunde geworden waren. «Warum ist er denn ausgeschlossen worden?»
«Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, dass er es verdient hat.»
Die Art, wie Fernando Fuentes Charlottes Blick auswich, ließ sie vermuten, dass er mehr über diese Angelegenheit wusste.
«Und als ob das nicht genügte, ist da jetzt noch diese Sache mit der Klage. Was für ein Sohn ist das, der seinen Vater vor Gericht zerrt?»
«Vor Gericht?», fragte Charlotte unschuldig.
«Ja», nickte sie und ließ sich von der Abneigung mitreißen, die sie beiden gegenüber hegte. «Scott hat sich zum Anwalt eines armen Schluckers aufgeschwungen. Ich glaube, der Mann hat eine Hand oder einen Fuß in einer der Fabriken seines Vaters verloren. Ich bin mir nicht sicher», sagte sie, als hätte es keine Bedeutung. «Als Scott davon erfuhr, hat er ihn aufgesucht und ihm angeboten, ihn vor Gericht zu vertreten. Natürlich ohne Bezahlung», fügte sie maliziös hinzu.
«Warum tut er so etwas?», fragte Hortensia neugierig.
«Bevor der schreckliche Unfall passierte, hatten die Arbeiter den Polier mehrmals darum gebeten, die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern, aber er hat sie einfach ignoriert, bis eine Kette gerissen ist und eine Stahlplatte den Arm von Scotts Klient abgetrennt hat», erklärte Mr. Fuentes.
«O mein Gott!», rief Hortensia aus.
«Der Mann hat zwar überlebt, wird aber nie wieder arbeiten können. Und er hat eine Frau und vier kleine Kinder.»
Hortensia spürte tiefes Mitgefühl, als sie sich vorstellte, in welchen Schwierigkeiten diese Familie nun stecken musste.
«Nach dem Unfall haben sich die Arbeiter aller Fabriken des Sektors zusammengetan. Sie fordern die Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen und drohen damit zu streiken. Es hat viele Demonstrationen gegeben, aber es war absehbar, dass die Leute ihre Arbeit schon bald wieder aufnehmen würden, ohne ihre Forderungen durchgesetzt zu haben.»
«Das ist wirklich furchtbar», sagte Charlotte, wider Willen ebenfalls von der Geschichte
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