Fesseln des Schicksals (German Edition)
als ich euch besuchen wollte. Wenn du ihn gesehen hättest. Er war noch stolz auf seine Tat. Ich hätte ihn mit meinen eigenen Händen töten können. Aber schließlich wurde mir klar, dass ich selbst auch die Schuld daran trug.»
«Du?»
« Oui , mein Mädchen. Wie konnte ich ihn für etwas zur Verantwortung ziehen, das ich mein ganzes Leben lang getan hatte? So habe ich meinen Hochmut teuer bezahlt. Wer hätte gedacht, dass mein eigen Fleisch und Blut einmal behandelt werden würde, wie ich Hunderte von Männern und Frauen behandelt habe. Warum seid ihr nicht zu mir gekommen?»
«Wir konnten nicht, Großvater. Wir hatten Angst. Denk an unsere Lage, an das, was geschehen war. Noah und ich sind noch immer zwei entflohene Sklaven.»
«Ich hätte euch geholfen.»
Traurig nahm er das Gesicht seiner Enkelin zwischen seine Hände. «Hast du etwa daran gezweifelt? Hast du geglaubt, dass ich Hortensia genauso ablehnen könnte, wie euer Vater es getan hat?»
«Es ist doch jetzt nicht mehr wichtig, Großvater.»
Gefühle von Schuld und Trauer legten sich schwer über Gaston Lacroix. Seine Enkelinnen hatten ihm nicht vertraut. Sie hatten gefürchtet, er wäre wie ihr Vater.
«Ihr seid meine Enkelinnen. Ich liebe euch. Ihr seid beide die Töchter meiner geliebten Katherine.»
«Alles wird gut, Großvater», versuchte Charlotte, ihn aufzumuntern. «Hortensia hat einen wunderbaren Mann gefunden, Noah wird Arzt werden, und ich … ich laufe durch die Stadt und stecke meine Nase überall hinein. Die Zeit hat die Wunden heilen lassen», flüsterte sie sanft und dankte leise dem Himmel.
«Mon Dieu» , rief Gaston glücklich aus und streichelte das Gesicht seiner Enkelin. Das Leben hatte ihm eine zweite Chance gegeben.
***
Als Brian Hortensia verkündete, dass sie Besuch hatte, dachte sie im ersten Moment, es wären die Damen, mit denen sie eine Wohltätigkeitsveranstaltung organisierte und die sich in ihrem Haus versammeln wollten.
«Eigentlich wollten sie erst in einer halben Stunde da sein», sagte sie mit einem Blick auf die Uhr.
Brian konnte nicht aufhören zu lächeln.
«Du hattest doch einen Termin?», fragte sie neugierig, als ihr Mann wartend vor ihr stehen blieb.
«Ich denke, ich bleibe zu Hause und kümmere mich um den Besuch. Du solltest ihn nicht warten lassen», sagte er, nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her.
«Du bist heute so geheimnisvoll.»
«Findest du, Liebling?», antwortete Brian, als sie die Treppe hinunter waren. Er nahm sie bei den Schultern und schob sie vor sich in den Salon.
Als Hortensia an der Seite von Charlotte ihren Großvater entdeckte, stieß sie einen Schrei aus und fiel ihm um den Hals. Lächelnd nahm Gaston Lacroix sie in die Arme.
« Ma petite Hortensia», flüsterte er glücklich.
«Großvater! Seit wann bist du hier?», fragte Hortensia, die sich nicht aus der Umarmung ihres Großvaters lösen wollte.
«Seit heute Morgen. Ich habe Charlotte eine Nachricht geschickt, sobald ich angekommen war.»
«Ich bin so froh, Großvater!»
«Mein liebes Mädchen. Wie lange habe ich diesen Moment herbeigesehnt!»
Plötzlich löste Hortensia sich ein wenig von dem alten Mann. Ein Schatten hatte sich über ihr Gesicht gelegt.
«Was ist los, ma petite ?»
«Da ist etwas, das du wissen musst, Großvater. Wir hätten es dir schon längst erzählen sollen.»
Zärtlich hob Gaston Lacroix das Kinn seiner Enkelin hoch. «Da ist nichts, was ich wissen müsste, mein Mädchen. Nichts außer der Tatsache, dass meine Enkelinnen, die beiden Mädchen, die meine Tochter über alles geliebt hat und die ich für immer verloren glaubte, wieder an meiner Seite sind. Ich habe dich lieb, ma petite , meine süße Hortensia. Und ich werde dich immer lieb haben, was auch passieren mag.»
Der Großvater wusste Bescheid. Er wusste, dass sie die Tochter einer Sklavin war, und liebte sie trotzdem. Weinend vor Freude, ließ Hortensia sich erneut umarmen.
Einen ganzen Monat lang war Gaston Lacroix im Haus von Brian und Hortensia zu Gast, bevor er nach New Orleans zurückkehrte. Er versprach, im Sommer wiederzukommen und dann die ganze Familie mitzubringen.
Aber aus der Ferne hörte man schon die Trommeln des Krieges, und keiner von ihnen ahnte, dass vier lange Jahre vergehen müssten, bevor das launische Schicksal ihnen gestatten würde, sich wieder in die Arme zu schließen.
· 34 ·
A n einem Morgen Anfang April 1861 betrat Charlotte wie immer möglichst unauffällig die Redaktion. In dem
Weitere Kostenlose Bücher